Das Schleswiger Theater 1840 - 1974
von Falk Ritter, Schleswig den 1.7.2007
1. Einleitung und Quellen
Es gibt schon einige Arbeiten über das Schleswiger Theater. Zuerst
ist natürlich das Buch von Eike Pies (ep) zu nennen: "Das Theater
in Schleswig 1618 bis 1839". Ebenso die Abhandlungen in Theo Christiansens
Büchern (tc1 und tc2), die den Zeitraum 1836 bis 1962 abdecken. Weil
sie in die allgemeine Stadtgeschichte eingebettet sind, sind sie nicht
zusammenhängend und deshalb für den Leser unübersichtlich.
Die Arbeit von Kirsten Petersen 1) behandelt das Schleswiger Theater während
der NS-Zeit.
Der Autor veröffentlichte bereits eine Geschichte des Schleswiger
Theaters während der Gnekow-Ära.
Die vorliegende Arbeit soll
1. einen Überblick über das Schleswiger Theater verschaffen.
Das Jahr 1974 markiert das Ende des Nordmark-Landestheaters, dessen Akten
im Gemeinschaftsarchiv (th) lagern, weshalb hier ein Schlussstrich gezogen
wird. 2. quantitative Analysen über jährliche Aufführungen
präsentieren. Es wird unterschieden zwischen Uraufführungen,
deutschen Erstaufführungen, (Schleswiger) Erstaufführungen und
(Schleswiger) Wiederholungen. Premiere ist die erste Vorstellung eines
Stückes in einer Theatersaison.
3. von Theo Christiansen nicht erfasste Themen behandeln.
Informationen vor 1840 entstammen ausnahmslos der Arbeit von Pies.
Die Daten aus der folgenden Zeit wurden den Theaterakten des Stadtarchivs
(th), den Intelligenzblättern (Ibl), "Schleswiger Nachrichten"
(SN), Volkszeitung und Theaterzetteln aus der Zeit von 1861 bis 1971 entnommen.
Bis 1913 wurde in der Zeitung oft auf "Näheres die (Tages-) Zettel"
hingewiesen. Verteilt wurden sie durch Zettelträger wie Madame Uebermuth
(1872) und den Lohndiener Willers (1894), der die Subskriptionsliste herumreichte.
2.1 Überblick von 1618 bis 1969
Die o.a. Tabelle zeigt die Theaterstücke pro Jahrzehnt. Pies schrieb:
"Friedrich III. (1616-1659) ist als der eigentliche Begründer
des "cimbrischen Musensitzes" anzusehen." Grund für
diese künstlerischen Aufschwung war der 30jährige Krieg, der
Schleswig halbwegs verschonte und deshalb viele Künstler anzog. Das
Gottorfer Musikleben war von entscheidendem Einfluss für die Hamburger
Oper. Zahlreiche höfische Feste mit Feuerwerken, theatralischen Aufführungen
und Aufzügen verdeutlichen das aufstrebende kulturelle Leben Schleswig-Holsteins
im 17. und 18. Jahrhundert." 1750 wurde das westlich vom Schloss Gottorf
gelegene Ballhaus (= Sporthalle für Ballspiele) zum Theater umgebaut
und blieb es bis 1839. Es bot 295 Zuschauern Platz. In der wichtigsten
Epoche der deutschen Theatergeschichte hatte Schleswig eine besondere Bedeutung.
Gotha, Mannheim und Schleswig waren nämlich 1781 die einzigen Städte
Deutschlands, die ein Hoftheater mit eigenem Ensemble besaßen. 2)
Dem ersten Gottorfischen Hoftheater gab der königliche Statthalter
Carl von Hessen den Namen "Hofschauspielergesellschaft". Sie
existierte bis 1783. 1787-1807 folgte die zweite Hofschauspielergesellschaft.
Beide profitierten jetzt umgekehrt vom Hamburger Schauspielstil, was dem
Intendanten Abel Seyler zu verdanken war. Die hiesigen Aufführungen
wurden vorbildlich und prägten den Stil des gesamten Theaterlebens
im nördlichen Deutschland. Die dritte Hofschauspielergesellschaft
unter Schleemüller 1833-1837 zeigte eine weitgehende Abkehr von der
Sprechbühne zur Oper. (ep) Zwischen 1950 und 1960 erlebten die Schleswiger
die Ära Gnekow, über die ausführlich berichtet wird.
2.2 Theaterstücke pro Jahr 1840-1974
Im Zeitraum 1840 - 1974 konnten 2730 verschiedene Theaterstücke gezählt
werden (inklusive Gastspiele). Zwischen 1618 und 1839 waren es 1086.
In der obigen Grafik sind die verschiedenen Theaterstücke pro Kalenderjahr
aufgetragen. Jedes Stück wurde nur einmal pro Jahr gezählt, egal
wie oft es in diesem Jahr aufgeführt wurde. Viele Ereignisse hatten
Einfluss auf die Anzahl der Theateraufführungen.
Pies schrieb: "... durch die Kriegswirrnisse konnten seit 1848 keine
regelmäßigen Aufführungen mehr stattfinden".
Ein Vergleich zwischen Theaterzetteln und Zeitungsanzeigen in den SN von
1867 bis 1871 ergab, dass von 100 Bühnenstücken in Theaterzetteln
nur 31 in den SN annonciert wurden. Aus der Zeit 1840-1860 sind kaum Theaterzettel
erhalten und im Intelligenzblatt wurden Theatervorstellungen nur selten
inseriert. Deshalb müssen die Mengenangaben aus der Zeit 1840-1860
als sehr unsicher gelten. Fünf Kriege haben ihre Spuren in der Grafik
hinterlassen, die beiden gegen Dänemark, einer gegen Frankreich und
die beiden Weltkriege. Von 1882-1892 wurde das Schleswiger Theater - wie
viele Theater in der Welt - wegen des Wiener Opernbrandes geschlossen.
Der nachhaltigste negative Einfluss fällt nicht sofort ins Auge: Das
Kino. Seit 1907 sorgte es für einen kontinuierlichen Rückgang
des Theaters. Beispielsweise wurden 1962 in Schleswig 878 Filme gezeigt.
Der Dezember war der Monat der Kindermärchen.
Interessant ist das Verhältnis zwischen Schleswiger Erstaufführungen
und Wiederholungen: Im Schnitt wurden pro Jahr 18,7 Erstaufführungen
und 20,5 Wiederholungen gebracht.
Die große Anzahl der Aufführungen 1892-1907 wurde durch Wiederholungen
verursacht: 400 Erstaufführungen gegenüber 880 Wiederholungen,
woran besonders die Volksvorstellungen beteiligt waren. Viele Erstaufführungen
waren hingegen der Grund für das kleine Hoch in den Jahren 1930 bis
1932 unter dem Intendanten Dr.Hermann Schaffner: 78 Erstaufführungen
bei nur 13 Wiederholungen. Die vielen Erstaufführungen in den 1860er
Jahren sind zum einen durch die lückenhafte Quellenlage, zum anderen
durch den Berechnungsmodus bedingt und verdienen deshalb keine Beachtung.
Im September 1944 schloss das Schleswiger Theater wegen des "totalen
Krieges" seine Pforten bis zur nächsten Saison.
1958 begann die Blütezeit des Fernsehens, dessen Einfluss man auf
den Grafiken aber nicht herauslesen kann.
Im Jahre 2002 wurden in Schleswig 42 verschiedene Theaterstücke dargeboten.
3.1 Theatergebäude mit "scheunenhaften Temperaturverhältnissen"
Pies schrieb dazu:
"Abgesehen von der Tatsache, dass das alte Ballhaus vor Gottorf baufällig
geworden war und einer umfassenden Renovierung bedurfte, lag das Haus zudem
für die Schleswiger Bürger sehr ungünstig. Die Altstadt
war weit vom Schloss entfernt, und bei schlechtem Wetter war der Weg über
die Dämme nahezu unbenutzbar. Da das Ballhaus von Schleemüller
gekauft worden war, hatte Landgraf Friedrich kein Interesse mehr an dem
Bau und deshalb auch keine Einwände, als die Bürger der Stadt
im April 1837 ein neues Schauspielhaus planten. Unternehmer dieses Projekts
waren der Konditor Johann Cantieny, ein gebürtiger Schweizer, und
der Maler Hammerich. Hinter dem Haus, Stadtweg Nr. 37, wurde ein ehemaliger
Wagenschuppen zum Zuschauerraum umgebaut und ein Bühnenhaus neu errichtet.
Der Zuschauerraum fasste 500 bis 600 Personen und soll eine gute Akustik
gehabt haben. "Trotz enger Gänge und Treppen und dem engumfriedeten
Orchesterraum vor der Bühne, dem reichlich aufdringlichen Souffleurkasten
im Vordergrund der letzteren und dem Vorhang mit der schwerfälligen
Portieren-Malerei wirkte alles abgestimmt und anheimelnd." Das neue
Haus war nach den baupolizeilichen Vorschriften errichtet worden, und selbst
der Bauinspektor Meyer konnte keine Mängel feststellen." Im November
1839 wurde es von Hubers Truppe mit "Figaros Hochzeit" eingeweiht.
(ep) "Einen festlichen Eindruck machte dieses Theater wahrlich nicht,
es glich einem Stall und man munkelte, es sei auch einer gewesen. Nun wurde
er zum Musentempel gemacht, der von Frau Cantieny und Tochter bewohnt wurde.
Als Theaterkasse diente ein enges, kleines Verließ, das notdürftig
von einer Oellampe an der Wand erhellt wurde. Wenn sich nur zehn Menschen
im schmalen Eingang befanden, fühlte man schon eine beklemmende Enge,
schlimmer wurde es auf der Holztreppe, die zum Rang hinaufführte.
Die Oellampen waren nur spärlich verteilt und wenn sie auch ihr bestes
taten, den Raum "festlich" zu erleuchten, so war man durch den
Eindruck doch nicht gerade überwältigt, trotz der sehr bescheidenen
Anforderungen." 3)
Im Sommer gab es auch Freilichtaufführungen hinter dem Theater, die
aber zu "störenden Besuchern in den benachbarten Gärten"
führten. 4)
Nach einigen Jahren zeigten sich aber doch größere Probleme,
wie Pies weiter schrieb: "Das Haus muss in einem traurigen Zustand
gewesen sein. Man hat es 1875 als "Tivoli", also als Vergnügungsetablissement
benutzt und dafür die Rückwand ausgebrochen, um den Garten in
das Restaurant einzubeziehen. Im Winter wurde die Wand durch Bretter geschlossen,
die die Kälte im Haus aber nicht genug abdämmen konnten."
Die berühmte Gast-Schauspielerin Marie Niemann-Seebach vom Thalia-Theater
Hamburg erlitt 1875 dort sogar eine schwere Erkältung wegen "scheunenhafter
Temperaturverhältnisse". 5) Nun fragt man sich, warum dieser
Bühnenstar, der erst 1870/71 eine große Nordamerika-Tournee
unternommen hatte, es nötig hatte, in einer Scheune aufzutreten. Dazu
eine Passage aus ihrer letzten Biografie:"Sie trug ihre Bühnenkunst
bis hinauf nach Tilsit und Memel, in die entlegensten Provinzstädtchen.
Väter schickten ihre Söhne, Mütter ihre Töchter in
die baufällige, zu Theatern hergerichtete Bretterbude, damit die Kinder
einen letzten Abglanz dessen sähen, was einst der Eltern höchstes
Entzücken gewesen und in der verklärenden Erinnerung sogar noch
bezaubernder geworden war. In großen Städten dagegen stieß
sie auf rauhere Töne. In Hamburg gab es nicht mehr Waterloosoupers,
sondern der Chronist witzelte mit der Goetheschen Wendung: Antiker Form
sich nähernd." 6) Kurz gesagt: sie mochte einfach nicht davon
lassen, als 48jährige Matrone noch das Gretchen im Faust zu spielen.
Im selben Jahr beschädigte das Hochwasser die Gasleitung, so dass
die Beleuchtung ausfiel, doch war noch mehr zu berichten:
Hohe Frisuren der Damen behinderten anderen Zuschauer die Sicht.
Ein Aufruf an die Fuhrleute forderte Omnibusse für Theaterbesucher
bereitzustellen. Im folgenden Jahr beschwerten sich Zuschauer wegen großer
Pfützen im Parkett. 7) Eine Theaterheizung war früher nicht selbstverständlich,
denn auf einem Theaterzettel vom 19. Dezember 1867 war seitlich aufgedruckt:
"Das Theater ist geheizt." (siehe Abb.) Der katastrophale Brand
in der Wiener Oper schreckte weltweit alle Theaterbetreiber auf und führte
zur Schließung vieler Theatergebäude, so auch in Schleswig im
nächsten Jahr.
In den folgenden 10 Jahren übernahm das Hotel "Bellevue"
die theatralischen Gastvorstellungen.
Im Jahre 1892 eröffnete der Gastwirt Nissen im Lollfuß 33 sein
"Gesellschaftshaus" (später Stadttheater). Die neuen Brandschutzbestimmungen
erlaubten das Rauchen nur noch im Foyer. 8) Seitdem verfügt das Theater
auch über einen "Eisernen Vorhang" als Brandschutz .
1924 erhielt das Bühnenhaus eine moderne technische Einrichtung und
1937 einen Umbau des Zuschauerraums.
Nach dem völligen Umbau im Sommer 1955 fasste der Saal 620 Personen.
3.2 Andere Lokale für das Theater
Die Ensembles spielten nicht nur in den beiden Theatergebäuden sondern
auch in Hotels, Schulen und Kirchen. Bei längeren Schließungen
des Stadttheaters wichen sie auf folgende Etablissements aus:
1882-1892 Hotel Bellevue, auf dem Platz der heutigen Lornsenschule. Der
Weg dorthin war oft dunkel, denn 1885 konnte man lesen: "Der Weg von
der Promenade zu Bellevue ist genügend beleuchtet". 9) Das alte
Stadttheater wurde wegen neuer Brandschutzbestimmungen geschlossen.
1914-1919 Holsteinisches Haus, das Stadttheater diente als Reservelazarett
10)
1945-1948 Großer Baumhof, das Stadttheater wurde von der Royal Army
requiriert und in "Drury Lane theatre Schleswig" umgetauft. (th)
3.3 Abstecher auf die Dörfer
Seit 1876 entwickelte sich das Schleswiger Theater zur "Abstecherbühne"
für die umliegenden Dörfer. Dazu verkehrten auch Sonderzüge,
bes. zwischen Schleswig und Süderbrarup bzw. Satrup. Bis 1912 wurden
auf den folgenden 10 Dörfern 75 % aller Theatervorstellungen (auch
von anderen Bühnen) auf dem Lande abgehalten.
Süderbrarup 25
Wellspang 19 (kein Schleswiger Theater nachgewiesen)
Böklund 16
Satrup 14
Jübek 12
Treia 10
Stolk 8 (kein Schleswiger Theater nachgewiesen)
Scholderup 7
Kropp 6
Haddeby 5 (kein Schleswiger Theater nachgewiesen)
Die vielen Theatervorstellungen in dem winzigen Wellspang erstaunen nur
auf den ersten Blick. Denn von 1604 bis 1853 unterlagen alle umliegenden
Dörfer dem Zwang, nur die hiesige Wassermühle zum Mahlen des
Getreides zu benutzen. Seit 1850 existierte für 100 Jahre ein sehr
gut besuchter Gasthof mit Park, wohin es viele Wochenendausflügler
in ihren Kutschen zog. Die Anlage einer Post-, Telefon- und Bahnstation
taten ihr übriges. Wegen der günstigen Verkehrslage stiegen hier
viele Vertreter ab, auch wurden regelmäßig Lehrer- und Pastorenkonferenzen
abgehalten. 1909/1910 gefiel es dem Lübecker Opernsänger Richard
von Schenk, hier öfter abzusteigen. 11)
Zwischen 1910 und 1920 sah Schleswig viele Gastspiele, insbesondere auch
von großstädtischen Bühnen.
1925 erleichterte der erste Thespiskarren Deutschlands - ein Omnibus mit
Anhänger - Aufführungen außerhalb von Schleswig anzubieten.
(tc1)
Zwischen 1924 und 1931 veranstaltete das Nordmark-Landestheater Spiele
in Apenrade, Bredstedt, Eckernförde, Friedrichstadt, Gelting, Heide,
Husum, Kappeln, Neumünster, Rendsburg, Satrup, Schleswig, Sonderburg,
Tingleff, Tondern und Wyk a. Föhr. Ein Abstecher nach Helgoland sollte
den arbeitslosen Schauspielern im Sommer zugute kommen, wurde aber ein
finanzieller Flop. (tc1)
Auch in den Jahren 1933 bis 1950 war der Karren viel unterwegs, seine Ziele
aber nur wenig dokumentiert.
Ab 1950 trug das Theater regelmäßig Gastspiele nach Bredstedt,
Eckernförde, Garding, Glücksburg, Hamburg, Hameln, Husum, Kappeln,
Karby, Niebüll, Rendsburg, St.Peter Ording, Stralsund, Süderbrarup,
Tönning, Treia, Westerland und Wyk. Dadurch verfügten die Schauspielern
auch im Sommerhalbjahr über regelmäßige Einnahmen.
Nach dem 2. Weltkrieg war Schleswig das erste deutsche Theater, das Austauschgastspiele
mit Dänemark (Odense 1952) und der DDR (Stralsund 1957) durchführte.
4.1 Das Leben der Schauspieler
Über das Leben der Schauspieler im 19. Jahrhundert schrieb Christiansen:
"Die Schauspieler waren in diesen Jahrzehnten Outsider der Gesellschaft.
Sie kamen und gingen und lebten in ärmlichen Verhältnissen."
(tc1) Wie arm zum Beispiel der Theaterdirektor Schäffer (1842-1850
in Schleswig) war, schilderte Asta Heiberg, geb. Baudissin, Frau des Bürgermeisters:
"Frau Schäffer hatte einmal mehrere Damen und mich gebeten, Taufpathe
bei ihrem neugeborenen Kinde zu sein. Wir versammelten uns in dem sauberen
Zimmer, ein langer magerer Theologe unterhielt sich mit Herrn Schäffer,
dann gruppierte man sich, und mir wurde das kleine Wesen auf den Arm gelegt.
Der Pastor sprach sehr bewegt und pathetisch. Das Kind schrie nicht wie
es sonst geschieht; es lag ganz ruhig und bewegte sich nicht; da hatte
ich plötzlich die Ueberzeugung, daß ich ein todtes Kind im Arm
halte. Ehe ich die Tragweite dieser Situation überlegen konnte, hatte
der Pastor das Kind getauft und mir wurde es abgenommen. Wir legten unser
Pathengeld in die Wiege und entfernten uns. Am nächsten Morgen erhielt
ich die Anzeige, das Kind sei wirklich in jener Stunde gestorben. Wahrscheinlich
war das Kleine schon kurz vor der Taufe dahingegangen; wenn diese aber
nicht stattfand, fiel auch das Pathengeld weg, und sie brauchten es so
nothwendig bei ihrer furchtbaren Armuth. So gebietet die Noth Vieles, was
im Wohlstand unterbleibt." Ihre einzigen Kostüme trugen die Schauspieler
am Leibe. Requisiten wurden von Frau Heiberg gestellt. 12)
Selbst der Intendant Dr.Gnekow lebte noch 1955 unter dürftigen Verhältnissen.
Die Schauspieler erhielten ihre kleine Gage als Selbständige bar ohne
Abzüge überreicht. Für die Vermittlung mußte das Theater
an die Agenturen - in den 50er Jahren meist "Greving & Meier"
in München - 10% des Monatsgehaltes für die Dauer des Engagements
überweisen. Den Schauspielern war es oft egal, wieviel sie bekamen,
Hauptsache "eine Rolle"! Nie kamen sie auf die Idee, um die Höhe
der Gage zu feilschen, es sei denn, sie hatten sich schon einen Namen gemacht.
Ganz anders die technischen Mitarbeiter: Sie pochten immer auf ihre gewerkschaftlich
ausgehandelten Tarifverträge. (gs)
4.2 Benefize
Wir lesen heute manchmal von Benefizveranstaltungen, die einem "guten
Zweck" dienen sollen. Solche Anlässe fanden sich auch im 19.
Jahrhundert wie
1842 Benefiz für die Abgebrannten in Hamburg
1856 Benefiz zum besten hiesiger verschämter Arme
1864 Benefiz für verwundete Krieger
1874 Benefiz für arme Kinder
1876 Benefiz für Errichtung eines Krankenhauses in Schleswig 13)
Das "normale" Benefiz kam in der zweiten Saisonhälfte einzelnen
Schauspielern zugute. Sie brauchten dieses Geld, um die Arbeitslosigkeit
im Sommerhalbjahr zu überstehen. Auf einem Theaterzettel des Jahres
1867 wurde z.B. im Kopf mit "Zum Benefiz für Fräulein Susanne
Lenz" geworben. Auf dem gleichen Zettel las man auf der Rückseite:
"Zu meiner
Benefiz-Vorstellung
lade ich hiermit ergebenst ein.
Hochachtungsvoll
Susanne Lenz."
Sie spielte am 19. Dezember die Hauptrolle in dem Volks-Schauspiel "Marie-Anne, ein Weib aus dem Volke" von Manfred Dräxler. (siehe Abb.) Mit der Gründung des Verbandstheaters unter Herold im Jahre 1912 hörten die Schauspieler- Benefize auf.
4.3 Berufe am Theater
Bretter, die die Welt bedeuten, beschäftigen eine große Anzahl
von Berufen, die von A wie Ankleider über S wie Souffleuse bis Z wie
Zettelträger reichen. Insgesamt konnten 49 verschiedene Tätigkeiten
ermittelt werden. Ihre Funktionen haben sich gegenüber damals häufig
geändert, weshalb auf sie hier noch einmal eigegangen wird:
Spielleiter und Regisseur bezeichnen im Prinzip die gleiche Tätigkeit.
Der Oberspielleiter steht in der Hierarchie dem Intendanten schon sehr
nahe.
Die Dramaturgin ist heute nur noch für das Programmheft zuständig,
während sie früher auch Aufgaben erfüllte, die mittlerweile
vom Regisseur und Intendanten wahrgenommen werden.
Der Inspizient sorgt dafür, dass während der Vorstellung alles
klappt, z.B. überwacht er den sekundengenauen Auftritt der Schauspieler.
Die Chargen sind Träger kleiner Nebenrollen wie z.B. die Frau, die
den Kaffee serviert.
Der Statist hat eine "stumme" Nebenrolle, beim Film wird er Komparse
genannt.
Der (Solo-) Repetitor übt die Rolle mit dem Schauspieler ein.
Der Requisiteur schafft wichtige Handlungsgegenstände heran wie z.B.
ein paar Maschinenpistolen: Er sorgt dafür, dass sie nur mit Platzpatronen
geladen sind und auch funktionieren - so geschehen im Jahre 1961 bei der
Aufführung "Das Ende vom Lied" von Willis Hall. (gs)
Einen Souffleurkasten gab es noch Ende der 40er Jahre, denn Gunhild Appuhn-Biese
berichtete: "Die Souffleusen (Elvera Köhn, Lydia Richter) hatten
es im Theater in ihren zugigen Kisten einigermaßen gemütlich,
weil sie wenigstens sitzen konnten." 14) Heute stehen sie rechts oder
links verborgen hinter den Kulissen.
Prolog-Sprecher begrüßten das Publikum, kündigten das Stück
mit Informationen darüber an und trugen auch Gedichte vor. Ihre größten
Auftritte hatten sie mit dem "Fest-Prolog" bei Tod oder Geburtstag
des jeweiligen Kaisers und seiner Gemahlin. Prologe waren nur bis 1908
Usus in Schleswig.
1864 inserierte Carl Hocke vom Sommertheater: "Junge Leute, die Lust
haben, Rollen zu schreiben, können sich bei mir melden, Kornmarkt
14 und 15, D.O." 15) Er suchte mit dieser Anzeige keine jugendlichen
Dramatiker, sondern Kopisten, die Theaterstücke für die Schauspieler
vervielfältigten.
4.4 Rollenfächer und Zeitverträge
Bei Gastschauspielern wird im Vertrag immer genau die "Rolle"
festgeschrieben, während bei den Zeitverträgen manchmal festgehalten
wird, für welches Rollenfach die Schauspieler engagiert werden, als
da sind: Bonvivant (Lebemann), Held, Hosenrolle, "Intriguant",
Kind, komische Alte, erste, zweite oder dritte Liebhaberin, Naive, Naturbursche,
polternder Alter und Sentimentale. Der Buffo ist ein auf komische Rollen
abonnierter Sänger (Tenor- oder Bassbuffo). Die Soubrette singt ein
"verschmitztes" Kammermädchen im Sopran.
Eine Theatersaison dauerte immer vom 1.September bis ins Frühjahr.
Bis 1957 gab es nur 9-Monatsverträge; oft wurden sie auch verlängert
durch Gastspiele, z.B. als Abstecher an die Fremdenverkehrsorte der Westküste.
Im Januar zittern die Schauspieler, aber nicht wegen der Kälte, sondern
weil ihnen der Intendant bis Endes des Monats mitteilen muß, ob er
sie für die nächste Saison weiter engagieren wird. (gs)
4.5 Die Unterbringung der Schauspieler 1950-1974
war bei den Abstechern an die Westküste stets ein Problem, da die
Betten in der Sommer-Saison häufig ausgebucht waren, ganz zu schweigen
von den Preisen, die sich das Theater gar nicht leisten konnte. In Westerland
verbrachten sie die Nächte meist in der Garderobe. In Schleswig logierten
die Schauspieler immer bei den gleichen Adressen: im linken Flügel
des Prinzenpalais, wo fast immer Platz war, (gs) in unmittelbarer Umgebung
des Theaters im Lollfuß, in der Neuwerkstr.7 bei Dr.Moosmann und
Bellmannstr. 2 bei Dr.Drews. Im letzten Haus wohnten Fiete Krugel-Hartig
und der Schleswiger Theaterkritiker Otto Pautz. Jürgen Drews jun.
hatte sich wohl von den Schleswiger "Comödianten" anstecken
lassen, auch ins Showbusiness einzusteigen. 16)
5.1 Gastspielbühnen
In dieser Grafik wurde die Anzahl der Gastspiel-Bühnen pro Jahrzehnt
aufgetragen. Das erste Maximum liegt in den Jahren 1910-1919. Ursache könnte
das Kino und der Krieg gewesen sein, was die Theater dazu trieb, außerhalb
der eigenen Städte zahlende Zuschauer zu suchen. Das zweite Maximum
fällt in Dr.Gnekows Intendantenzeit. Schleswigs guter Ruf lockte sie
hierher. (gs) In der Liste der prominenten Gastbühnen außerhalb
Schleswig-Holsteins stechen besonders die Berliner Theater hervor.
1903, 1924 Oberammergauer Passionsspiel
1906, 1908 Tegernseer Volkstheater
1910 Urania-Theater, Berlin
1910, 1916 Maria Rehoff-Tournee
1911, 1917 Schiller-Theater, Hamburg
1912 Deutsches Theater Berlin
1918 Wiener Operettentheater Johann Strauß
1923 Hans Holtorf-Truppe
1923 Ibsen-Theater, Norwegen
1924 Niederdeutsche Bühne, Hamburg (Ohnsorg-Theater)
1925 Berliner Schaubühne
1925 Deutsches Schauspielhaus, Hamburg
1931 Kleines Theater, Berlin
1931 Neues Theater, Berlin
1953 - 1956 Königliches Theater, Kopenhagen
1955 Odense
1956 Berliner Ballett
1956 Schloßparktheater, Berlin-West
1957 - 1960 Stralsunder Theater
1958 Brecht-Ensemble, Berlin-Ost
1959 Staatstheater, Berlin-Ost
5.2 Dilettantenvorstellungen
Dilettanten am Theater sind Amateure. Solche spielten in Schleswig erstmalig
am 12.2.1868 (SN). Die Komödie stammte von Moser und lautete: "Wie
denken Sie über Rußland?" Interessant ist, dass fast nur
Adelige die Aufführung bestritten: Frau von Zastrow, Graf Baudissin,
Heiberg, Kammerjunker von Holstein, Frhr. von Richthofen, Bureauchef von
Rumohr und Frl. Keck (Tochter vom Domschuldirektor). Es folgten weitere
Vorstellungen im Jahre 1870. 1876 diente der Reinerlös einer Vorstellung
als Benefiz für die Errichtung eines Krankenhauses in Schleswig. In
der Folge bildeten sich weitere Dilettantenvereine 1909 in Füsing,
1912 in Gammellund, 1912 in Süderbrarup, 1912-1913 in Tolk und 1929
in Scholderup.
5.3 Volksvorstellungen für Dienstmädchen
Der Theaterneubau 1892 hatte den Regierungspräsidenten und andere
Bürger "höheren" Standes dazu veranlasst, den Kollegien
zu empfehlen, die für den Bau geleistete Finanzhilfe zum Anlass zu
nehmen, auf die Spielpläne einzuwirken und vor allem an Tanzabenden
durch gesunde Volksstücke und billige Eintrittskarten breiten Schichten
der städtischen Bevölkerung den Besuch zu ermöglichen. Die
Kollegien gingen auf die Vorschläge ein und bildeten zu ihrer Verwirklichung
eine Kommission mit Dr.Heiberg, Dr.Witt und Herrn Stehn. Die "Obrigkeit"
fühlte sich für das moralische Wohl der Bevölkerung verantwortlich.
Eine weitere Kommission bestand aus dem Postdirektor Tietz als Vorsitzenden,
dem Taubstummenlehrer Kruse, Redakteur Leonhard, Kantor Metting und Hauptlehrer
Schau. (tc1)
Bei der Verwirklichung der Volksvorstellungen tauchten zwei Probleme auf:
Zum einen konnten die Dienstmädchen am vorgeschlagenen Samstag nicht
ins Theater gehen, weil sie da arbeiten mussten, zum anderen fehlte im
neuen Theater eine Gallerie, so dass die billigen Stehplätze wegfielen.
Als Zielgruppe für die Volksvorstellungen wurden angepeilt:
"Alle Leute von bescheidenem Einkommen wie Unterbeamte, kleine Handwerker,
Handwerksgesellen, Gehülfen, Arbeiter, Lehrlinge aller Art, Näherinnen
und Dienstmädchen." 17)
Die erste Volksvorstellung ging am 9.12.1892 mit "Mein Leopold"
von L´Arronge über die Bühne und war mit 850 Besuchern
prall gefüllt. Weitere Aufführungen folgten bis 1914.
5.4 Fremdenvorstellungen durch Eisenbahn ermöglicht
Da meldeten sich auch die Bewohner der umliegenden Dörfer zu Worte,
wie ein Leserbrief vom 13.10.1892 (SN) bezeugt:
"Mit Interesse lesen wir Landleute die öfter in den Schleswiger
Nachrichten annoncirten Theateraufführungen und würden uns auch
rege an dem Besuch des Theaters betheiligen, wenn der lange Weg nach Schleswig
sich nicht als Hinderniß in die Quere stellte. Aus wie vielen Munden
hört man nicht die Worte sprechen:" Wenn das Theater bloß
etwas näher bei uns wäre, ich wollte jeden Abend als Zuschauer
erscheinen." Ließe sich dieses Hinderniß nicht dadurch
etwas beseitigen, wenn die verehrte Direktion der Schleswig-Angler-Eisenbahn
auch nur einmal versuchsweise einen Extrazug des Nachts nach Süderbrarup
abgehen lassen könnte, gewiß wäre eine große Betheiligung
seiten der Landleute zu erwarten.
Ein Theaterfreund"
Der Bitte wurde entsprochen und so konnte man 1893 von Sonderzügen
am Freitagabend zwischen Schleswig und Süderbrarup lesen. Die auswärtigen
Besucher hießen ab 1909 "Fremde" und ihre Vorstellungen
"Fremdenvorstellungen", welche "zu bed. erm. Preisen"
offeriert wurden. 18) Um in den Genuss der Ermäßigung zu kommen,
mussten sie nur ihren Fahrausweis vorlegen. 1911 fuhren Sonderzüge
auch nach Kropp, Jagel, Mielberg und Groß-Rheide.
Im Gegensatz zu den "Fremdenvorstellungen" verfügen einige Theaterhäuser größerer Städte (nicht Schleswig) über sogenannte "Fremdenlogen", welche paradoxerweise die teuersten Platzgruppen repräsentierten. 19)
Man konnte im Theater auch Platzmieten abschließen, wie einer
Anzeige im Jahre 1944 zu entnehmen ist:
"Stadttheater Die Inhaber der festen Platzmiete (blau und rot) werden
gebeten, ihr Stammsitze bis zum 12.August 1944 zu erneuern, da nach diesem
Zeitpunkt anderweitig über diese Plätze verfügt wird. Neuanmeldungen
für feste Platzmieten werden ab 14.August entgegengenommen, wohlfreie
Platzmieten ab sofort." 20) Sie erhielten ihr Geld bestimmt bald zurück,
denn Anfang September wurde das Theater wegen des "totalen Krieges"
geschlossen.
5.5 Volksbühne, Bühnenvolksbund
1923 gründeten der Redakteur der Volkszeitung Hans Flatterich (SPD)
und die Gebrüder Grell (beides Drogisten) die Volksbühne. Als
Konkurrenz dazu etablierten die Bürgerlichen 1925 den Bühnenvolksbund.
Sie wollten durch Abschluss von Abonnementsverträgen dem Theater höhere
und konstantere Einnahmen bescheren. Die Volksbühne wurde 1933 verboten
und der Bühnenvolksbund in der "Deutschen Bühne" gleichgeschaltet.
Theo Christiansen berichtete bereits über diese Bünde und behandelte
das damit verknüpfte tragische Schicksal des Intendanten Friedrich
Herold (bis 1924).
5.2 Plattdeutsches Theater
Die erste plattdeutsche Vorstellung erfolgte 1877 mit "De bemooste
Haupt" von Roderich Benedix. 21) Plattdeutsche Stücke wurden
bis 1945 nur als Gastspiele gezeigt. Theo Christiansen schrieb:
"Die schon im Herbst 1945 gegründete niederdeutsche Bühne
Axel Dühren-Schröders bekam 1948 Konkurrenz. Als der Besuch des
»Renaissancetheaters« Nicolais nach der Währungsreform
bedrohlich schrumpfte, versuchte er, sein Unternehmen durch ein Mitschwimmen
auf der >Heimatwelle< zu retten. Er fügte seinem Theater eine
niederdeutsche Abteilung unter der Leitung des beliebten Schauspielers
Bruno Gerhardt an. Es kam aber nur zu einer Premiere mit »De Knecht
von Folingbro« am 9.August 1948. Der Konkurs des Theaters war aber
nicht mehr abzuwenden. Auch Schröders Bühne konnte sich ohne
Zuschüsse nur mühselig über Wasser halten. Als dann Franz
Grell den Vorsitz übernahm und zehn Jahre der beliebte Schauspieler
des Nordmark-Landestheaters Bruno Gerhardt künstlerischer Leiter war,
festigte sich das Theater unter dem Namen »Plattdütsche Komödi
Schleswig«. Am 26.1.1959 wurde sie dann unter der Nummer 238 als
»Niederdeutsche Heimatbühne Schleswig« ins Vereinsregister
eingetragen. Der Geschäftsführer war jetzt Adolf Bielfeldt. Aus
ihr heraus entstand ihre Konkurrenz, da bei der Besetzung der wichtigsten
Rollen Rivalitäten entstanden. Die Familie Klingenhoff stellte die
Stars der einen, Dienesen der anderen Bühne, die sich als »Speeldeel
Schleswig« formierte und am 19. Januar 1962 ins Vereinsregister eingetragen
wurde. (Nr. 257). Ihr Vorstand war Dieter Engelhardt und dann bis heute
Werner Jungjohann. Etliche Versuche, die beiden Konkurrenten zu vereinen,
scheiterten. Heute haben sie sich mit erstaunlich vielen aktiven Mitgliedern
durchgesetzt. Die beiden Bühnen haben sich die Aufgabe gestellt, die
niederdeutsche Sprache zu beleben und in ihren Programmen vor allem zu
»Dem Vergnügen der Einwohner«, wie es über dem Theater
in Potsdam stand, beizutragen."
Seit den 70er Jahren bildeten sich auf dem Lande viele kleine Laienspielgruppen,
was dazu führte, daß die Dörfer kaum noch plattdeutsche
Gastspiele in Schleswig nachgefragten. 1967 bot die Schleswiger Speeldeel
nicht nur leichte Unterhaltung, sondern auch ihr erstes "ernstes"
Stück auf Platt an, was vom Publikum gerne angenommen wurde: "Kruut
gegen den Dood" von Hans Herrmann. 22) Die Niederdeutsche Bühne
Schleswig brachte 1975 ihr erstes Singspiel mit "De Reis´ no
Helgoland" von Franz W.Schilling. 23) Auffallend ist das Milieu der
Stücke: Sie spielen immer im Volke, selten in der gesellschaftlichen
Oberschicht. Deswegen erscheinen plattdeutsche Versionen von Shakespeare
und Schiller heute noch undenkbar.
6.1 Uraufführungen (UR) und deutsche Erstaufführungen (dt.Erst.)
Auffallend ist die hohe Anzahl von Stücken lokaler Dramatiker im 19.
und Anfang des 20.Jahrhunderts wie Neupert, A. und W. Baudissin, Wulff,
Terno, Tränckner, Leuchsenring und Grell.
Die deutsche Erstaufführung von Ibsens Nora (Originaltitel: Et Dukkehjem)
fand tatsächlich am 18. Februar 1880 in Schleswig statt, obwohl die
einschlägige Literatur "Residenztheater München am 3. März
1880" ausweist.
Ein Sternchen * vor dem Stück weist auf die überregionale Bedeutung
des Dramatikers hin. Um dies herauszufinden, wurde nicht nur ein Schauspielführer
24) benutzt, sondern der Aktualität wegen auch die Auffindbarkeit
des Autors im Internet als Maßstab herangezogen.
Das Theater muß immer 10 % der Einnahmen an den Verlag mit den Aufführungsrechten
abführen, meist "Bloch & Erben". Wenn deutsche Erstaufführungen
oder sogar Uraufführungen angeboten werden, so bekommen in der Regel
die großen Theaterhäuser den Zuschlag, weil sie die meisten
Einnahmen versprechen. (gs) Der Intendant Dr.Gnekow (1950-1960) zeigte
sich bei der Auswahl seiner Stücke in dieser Hinsicht besonders erfolgreich,
weil er sich an schwierige Stücke heranwagte, die Intendanten großer
Bühnen links liegen ließen. Der innovative Intendant Dr.Schaffner
(1930-1932) kommt bei dieser Zählweise zu kurz: Er bot zwar 78 Schleswiger
Erstaufführungen neben 13 Wiederholungen an, wozu aber nur 3 unbedeutende
Uraufführungen und keine deutsche Erstaufführung zählte.
1840 Die beiden Fouriere, Komödie von Neupert, UR
1867 Annektirt, Genrebild von Adalbert Graf von Baudissin, UR
1870 Durch Nacht zum Licht, Spiel von W. Wilibald Wulff, UR
1877 Der Zauber der Humanität, von W.Wilibald Wulff, UR
1877 Lamm und Löwe, Komödie von Wulff, UR
1880 * Nora, Schauspiel von Henrik Ibsen, dt. Erst.
1880 Die Geisterbannerin, Komödie von W.Wilibald Wulff, UR
1880 Gräfin Lea, Schauspiel von W.Wilibald Wulff, UR
1881 Ein leeres Blatt, Tendenz-Schauspiel von W. Wilibald Wulff, UR
1881 Die letzten Ditmarsen, Schauspiel von W.Wilibald Wulff, UR
1888 Farinelli, Operette von Wilibald Wulff und Charles Caßmann,
UR
1897 Der erlöste Peri, Schauspiel von Emil Terno, UR
1903 * Im bunten Rock, Komödie von Schönthan und Schlicht (=
Wolf Graf von Baudissin), UR
1907 Wer führt die Braut heim, Schwank von Gusmann, UR (28.4.)
1910 Die Nixe, Komödie von Emil Terno, UR (März)
1911 Manstein allzeit voran, Festspiel von Emil Terno, UR (19.3.)
1914 Der Morgen tagt, Heimatspiel von Emil Terno, UR (5.2.)
1925 Karthago, Schauspiel von Karl Schmitz, UR (13.1.)
1927 Der tolle Frederik, Schauspiel von Tränckner, UR
1930 Der deutsche Funke, Heimatfestspiel von Johannes Thomsen UR
1931 Haithabu, Schauspiel von Paul Leuchsenring, UR
1931 Die Kapitalisten, Komödie von Petersen, P.P., UR (10.11.)
1933 Luther, Niederdeutsche Komödie von Axel Delmar, UR (21.11.)
1935 Seine Majestät der Kindskopf, Komödie von Demandowsky, UR
(2.1.)
1935 Totila, NS-Drama von Wilhelm Kube, UR (4.2.)
1935 Stück ohne Titel, Heiteres Traumspiel v. Waldemar Reichardt,
UR (24.12.)
1937 Lody - vom Leben und Sterben eines deutschen Offiziers, NS-Drama von
Walther Heyer, UR (3.2.)
1937 Bauer Thaysen, NS-Drama von Horst Thorsen, UR (20.11.)
1938 Revolution bei Busse, Komödie von E. Demandowsky, UR (12.1.)
1938 Gudrun, NS-Drama von Tilo von Throta, UR (2.2.)
1938 Bildnis des Königs, Komödie von Theodor Rust, UR (9.9.)
1939 Karrieren, Komödie von Ander, UR (11.1.)
1941 Muttermal, Volksstück von Max Hecht, UR (18.1.)
1941 Sigtrygg, NS-Drama von Karl Weise, UR (11.11.)
1943 Märchen von der Wundergeige, von Hermann Wanderscheck, (NS-Dramatiker),
UR (27.11.)
1946 Bagatellen, Operette von Jan Berolin, UR (12.9.)
1951 * Das verheiratete Fräulein Jacqueline, Komödie v. Verneuil,
dt. Erst (22.3.)
1953 Die blonde Frau, Schauspiel von Walter Wenzel, UR (11.4.)
1954 Luder Masken, niederdeutsche Komödie von Franz Grell, UR (8.11.)
1957 * Iwan der Schreckliche, Schauspiel von Akim Leonoff, UR (18.10.)
1957 * 3. November 1918, Schauspiel von Theodor Csokor, dt. Erst (18.10.)
1957 * Baby Hamilton, Komödie v. Anita Hart u. Maurice Bradell, dt.
Erst. (20.12.)
1958 Wat dat Öl nich deit, Niederdeutsche Komödie v. Franz Grell,
UR (5.2.)
1958 * Gib acht auf Amelie, Schwank v. Lothar Olias, Musical, dt. Erst
(7.2.)
1958 * Die weiße Krankheit, Schauspiel von Karel Capek, dt. Erst.
(31.10.)
1958 * Hebt den Stein ab, von Schauspiel von Franz Csokor, dt. Erst (1.11.9)
1959 * Der verlorene Sohn, Schauspiel von Franz Csokor, dt. Erst. (31.10.)
1959 * Verteidigung der Xanthippe, Komödie von Morstin, dt. Erst.
(1.11.)
1960 * Boyfriend, Musical von Sandy Wilsson, dt. Erst. (22.1.)
1960 * Adieu Ballerina, Spiel von Klaus Werner, UR (23.9.)
1961 * Der Tölpelhans, Weihnachtsmärchen von Wolf Pahlke, UR
(3.2.)
1962 * Der spanische Pavillon, Komödie von J.B. Priestley, UR (23.4.)
1962 Eine kleine Traumfabrik, Musical von Karl Vibach, UR (2.2.)
1962 * Ein Musterknabe, Komödie von Luis Penafiel, dt. Erst. (16.11.)
1963 * Die Schallmühle, Komödie von Leonard Samson, dt. Erst.
(31.12.)
1963 * Paradies auf Erden, Kom. v. Poul Sorensen u. Erik Fiehn, dt. Erst
(25.1.)
1965 * Nächtliche Erzählung, Schauspiel von Krzystof Choinski,
dt. Erst. (12.2.)
1969 Die Höhle von Steenfoll, Märchen von Klaus Reuter, UR (11.6.)
1971 * High Commissioners Candaules, von Dan Gerould, dt. Erst. (23.10.)
1972 * Triki Traki, Komödie von Harald Sommer, dt. Erst. (22.4.)
1972 * Neubeginn, Komödie von Renke Korn, UR (22.4.)
1974 * Rendezvous in Theben, Musical von Friedrich Bremer, UR (19.4.)
BILD-Zeitung vom 7.2.1958
6.2 Härteste Arbeit für Premieren
Der Intendant Dr.Gnekow hielt seine Mannschaften ganz schön auf Trab.
Die Theatersaison begann am 1.September und er schaffte es, in jedem September
seiner 10 Jahre 3 Premieren anzubieten! Es kam nicht selten vor, dass die
Akteure nach der Vorstellung noch um Mitternacht ins "kaputte Sofa"
(heute Domhotel) beordert wurden, um dort Probenbesprechungen durchzuführen.
Dazu kamen noch die anstrengenden Abstecherfahrten mit den unsäglichen
Übernachtungsbedingungen, an denen der Herr Intendant aber nicht teilnahm.
(gs) Dr.Schaffner stand Dr.Gnekow darin nicht nach: Er hatte in seinem
ersten September 4 Premieren, im 2. drei Premieren. Unter Vibach fiel dieser
Schnitt auf 2, unter Rippert und Graschberger auf 1 Premiere.
6.3 Top 11 der Aufführungen
Beispielhafte Erklärung der Tabelle: "Hamlet" von Shakespeare
wurde in Schleswig im Zeitraum 1663-1973 in 23 verschiedenen Kalenderjahren
aufgeführt.
1663 - 1973 23 Hamlet von Shakespeare
1770 - 1962 22 Minna von Barnhelm von Lessing
1782 - 1967 26 Maria Stuart von Schiller und Shakespeare
1786 - 1974 28 Die Räuber von Schiller
1786 - 1972 26 Kabale und Liebe von Schiller
1824 - 1929 22 Preziosa von Wolff / von Weber
1826 - 1934 19 Wilhelm Tell von Schiller
1867 - 1919 20 Muttersegen von Lortzing
1874 - 1911 17 Der Veilchenfresser von Moser
1875 - 1926 18 Robert und Bertram von Räder
1877 - 1971 19 Die Fledermaus von Strauß
Das erste in Schleswig aufgeführte Theaterstück war "Romeo
und Julia" im Jahre 1661. (ep)
6.4 Top 11 der Autoren
Beispielhafte Erklärung der Tabelle: Im Zeitraum 1826-1919 wurden
in Schleswig 36 verschiedene "Rührselige Stücke" von
Charlotte Birch-Pfeiffer aufgeführt. 25)
1661 - 1973 26 Shakespeare, William Klassiker
1826 - 1919 36 Birch-Pfeiffer, Charlotte, rührselige Stücke
1843 - 1941 29 Benedix, Roderich, bühnenwirksame, anspruchslose Lustspiele
1847 - 1951 28 Görner, Carl August, Märchenspiele
1861 - 1925 26 Pohl, Emil, Operntexte
1864 - 1974 22 Friedrich, W. [Riese], Operntexte
1867 - 1905 22 Kneisel, Rudolf, Lustspiele
1867 - 1911 34 Moser, Gustav von, unterhaltsame Lustspiele
1879 - 1926 28 Blumenthal, Oskar, leichtgebaute, bühnenwirksame
Lustspiele
1879 - 1965 24 Schönthan, Franz , Bühnenwirksame Lustspiele und
Schwänke
1897 - 1962 20 Hauptmann, Gerhard, naturalistische, soziale Dramen
6.5 Stücke über Schleswig 26)
Es gab auch Theaterstücke, die dem Namen nach in Schleswig handelten:
1861 Schleswig 1761 und Schleswig 1861
1864 Abschied von Schleswig
1864 "Die Oesterreicher in Schleswig" oder "Die Einquartierung"
1886 1891 Schleswig bei Nacht
1889 Das schönste Mädchen von Schleswig
1890 Ein Schleswig-Friedrichsberger in Hamburg
1895 Schleswig von der heiteren Seite
1909 Schleswig unter Wasser
1912 Was kostet Schleswig?
6.6 NS-Dramen
Über die Rolle des Theaters im Nationalsozialismus konnte man 1933
lesen:
"Das Wesen der neuen Zeit ist soldatisch. Daraus ergibt sich, daß
mit der Vorherrschaft des seichten Gesellschaftsstückes endgültig
gebrochen wird. Frackkomödien scheiden aus, ebenso der tote Naturalismus,
der nichts weiter war als der grüblerische krasse Individualismus
eines absterbenden Bürgertums. Aber auch kein proletarisches Haß-Theater,
das den Klassenkampf predigt, wird gespielt werden. Nichts von alledem!
Das deutsche Volk ist eine Gemeinschaft von Arbeitern der Stirn und der
Faust, Bauern und Soldaten. Straff gegliedert wie der Geist der Nation
wird auch die neue Theaterkunst sein. Die Theaterkunst führt kein
künstlerisch verträumtes Eigenleben mehr, sondern ist eingeordnet
in den Blutkreislauf der Nation." 27)
Passend dazu wurde am 20. Oktober 1933 (SN) die Schleswiger Ortsgruppe
des "Kampfbundes deutscher Kultur" gegründet. Als ihr Führer
fungierte der Hauptschriftleiter der "Schleswiger Nachrichten"
Dr.Fritz Michel.
Über die in Schleswig-Holstein gezeigten NS-Dramen schrieb Kirsten
Petersen:
"Zusammenfassend muß zunächst einmal festgestellt werden,
daß es den Nationalsozialisten nur zu einem Teil gelang, ihre Vorstellungen
und Ansichten einer zeitgemäßen Theaterführung und Spielplangestaltung
an den Bühnen in Schleswig-Holstein durchzusetzen. Bei einem abschließenden
Überblick über die Anteile der von mir definierten Werkkategorien
an den Spielplänen der einzelnen Theater ergeben sich für den
gesamten untersuchten Zeitraum folgende Durchschnittswerte in Schleswig:
Repertoirestücke: 27%
NS-Dramen 13 %
Unterhaltung: 60 %
Im Vergleich mit anderen Bühnen im Reich nehmen die schleswig-holsteinischen
Bühnen eine Zwischenstellung ein ... Die Tatsache, daß sich
der Anteil der NS-Dramen an den Schauspielaufführungen der Theater
in Schleswig-Holstein - wenn auch nicht in extrem niedrigen - so doch in
gemäßigten Bahnen hielt, ist sicherlich wesentlich auf ihre
geringe Resonanz beim Publikum zurückzuführen. Zwar gab es an
den verschiedenen Bühnen ... hin und wieder Versuche, der NS-Dramatik
auch in der hiesigen Provinz zum Durchbruch zu verhelfen, doch scheiterten
diese Unternehmungen letztendlich immer daran, daß diese Werke trotz
staatlich gelenkter Besucherorganisationen meist nur niedrige Aufführungszahlen
erreichten. Und volle Theater, d.h. ausverkaufte Vorstellungen, war nun
einmal oberstes Ziel jeder (auch der nationalsozialistischen Theaterpolitik),
zumindestens immer auch schon bedingt durch Finanzierungsfragen. Außerdem
bot sich in dem Hinweis auf mangelndes Zuschauerinteresse für die
Intendanten die Möglichkeit, offizielle Verlautbarungen und Anordnungen,
gewisse Dramen in den Spielplan aufzunehmen, zu umgehen oder möglichst
weit auszulegen, während man diesen Verlautbarungen allerdings offiziell
in Programmheften, Spielplanentwürfen usw. huldigte.
"Am 30. März 1938 wurde eine Komödie des prominentesten
NS-Dramatikers aufgeführt: "Dunkle Wege" von Dietrich Eckart.
Er war Hitlers Mentor, der ihm am Ende seines Buches "Mein Kampf"
ein Denkmal setzte.
6.7 Fehlende Dramatiker
Es wurde untersucht, welche wichtigen resp. bekannten deutschsprachigen
Dramatiker in Schleswig von 1840 bis 1974 nicht auf dem Spielplan standen:
28)
Ulrich Becher, Arnolt Bronnen, Ferdinand Bruckner, Alfred Döblin,
Lion Feuchtwanger, Hans Henny Jahnn, Oskar Kokoschka, Karl Kraus, Else
Lasker-Schüler, Heinrich Mann, Franz Werfel, und Arnold Zweig.
Dass sich in diesem Kreis linke, antifaschistische und revolutionäre
Dramatiker sammelten, ist bei dem politischen Umfeld nicht verwunderlich.
Dass auch Juden und Österreicher darunter sind, liegt einfach daran,
dass wegen ihrer großen Zahl nicht alle aufgeführt werden konnten.
Heinrich Manns Dramen wurden an der Schlei zwar nie gezeigt, aber seinen
"Professor Unrat" konnte man 1930 in dem Film "Der blaue
Engel" zusammen mit Marlene Dietrich bewundern. 29) Alfred Döblins
Dramen waren gar nicht gefragt, selbst seine "Geschichte von Franz
Biberkopf" (= Berlin Alexanderplatz), die Anfang der 30er Jahre in
Berlin als Film und Hörspiel verbreitet wurde, war hier weder zu sehen
noch zu hören. Der Präsident des österreichischen PEN-Clubs
(seit 1947) bedankte sich ausdrücklich mit folgenden Worten:
"Intendant Dr.Horst Gnekow
der durch die Aufführung vom
"3. November 1918" den Stein abgehoben hat, der
über meinem Werk in Deutschland lag,
in herzlicher Dankbarkeit
der auferstandene Dichter
Franz Theodor Csokor
Wien 10 / I. 1958" 30)
7.1 Billettpreise
Interessant war die Anzeige eines Gastspieldirektors am 22.7.1888 in den
SN:
"Für das hohe Honorar von 300 Mk. habe ich das Aufführungsrecht
zu der Mannstädtschen Posse "Der Stabstrompeter" erworben,
welche ich bereits Morgen Sonntag, den 22.d.M. zur Aufführung bringe.
Hochachtungsvoll M.Knapp-Girard Theaterdirektion"
Heute erhält der Verlag (z.B. Bloch & Erben) mit den Aufführungsrechten
10% der Einnahmen. (gs) Knapp-Girards Billettpreise lagen zwischen 30 Pfg.
auf der Gallerie und 1,50 Mk. im Sperrsitz.
1876 zahlten Kinder bis 10 Jahre 1/2 Preis
1880 hatten Militärpersonen ermäßigte Preise vom Feldwebel
abwärts
1903 kostete eine normale Theaterkarte 0,75 Mk bis 2,25 Mk, in der Volksvorstellung
0,30 Mk bis 0,50 Mk.
Ende des 19. Jahrhunderts fand wohl eine Germanisierung der Umgangssprache
statt, denn es wurde nicht mehr von Billetten, sondern von Eintrittskarten
gesprochen.
1938 zahlten NSDAP-Angehörige 70 Pfg, trugen sie Uniform, so reduzierte
sich der Preis auf 50 Pfg.. 31)
In der Saison 1968 / 69 kosteten die Einzelkarten zwischen 3,50 DM und
6,50 DM, Jugendliche bezahlten die Hälfte.
Zum Vergleich: 1888 kostete ein Hühnerei 7 Pfennige, 1968 waren 25
Pfennige zu entrichten.
7.2 Opern, Operetten und Theaterkosten
Das arme, kleine Schleswig konnte sich seit 1840 nur noch eine Sprechbühne
leisten; Opern und Operetten wurden überwiegend als Gastspiele auswärtiger
Bühnen angeboten, weil sie besonders teuer sind. Nur die Theaterdirektoren
Herold und Nicolai wagten sich da ran, sind aber in Konkurs gegangen. Theo
Christiansen schrieb ausführlich über die finanziellen Probleme
des Schleswiger Theaters, deshalb soll hier ein vergleichender Blick auf
andere Bühnen geworfen werden:
"Während in Frankfurt jede Eintrittskarte in der Spielzeit 1998
/ 99 mit 336 Mark bezuschusst worden sei, habe Hamburg mit 192 Mark am
Ende der Liste gelegen, so die Meldung aus Hessen. Nach dem Hamburger Haushaltsplan
ist der Zuschuss pro Zuschauer sogar noch niedriger (Oper: 203 Mark, Schauspielhaus:
133 Mark, Thalia Theater: 117 Mark)." 32)
Relativ unbekannt ist heute die "Posse mit Gesang und Tanz",
eine Form des musikalischen Bühnenstücks, das in Schleswig bis
zum 1. Weltkrieg sehr populär war und in der Operette aufging.
Das Orchester wurde von 1870-1900 durch die Militärkapelle des 84.
Inf. Rgt. v. Manstein gestellt. 33)
8. Sensationen, Verbote und Skandale
1856 Im Anschluss einer "Die Räuber"- Aufführung tauchte
im Intelligenzblatt ein sog. "Distichon" auf, das einen Leserbriefkrieg
lostrat: "Hast Du Dein Steckenpferd, Freund, auch selbst ziemlich
leidlich geritten; Grausam zertraten die Andern die Blüten der Dichtung
und Kunst!" (tc1)
1867 Die Ballettänzergesellschaft des Herrn Veroni West bot "Amerikanische
Neger- Scenen mit Gesang und Plantagentanz: Überraschend waren für
uns die Scenen aus dem Negerleben, die durch Mr. Veroni West, Mrs.Veroni
West etc. mit einer solchen Natürlichkeit wiedergegeben wurden, daß
man sich unter echte Niggers versetzt glaubte." Die Gruppe kam vom
Drurylane-Theater in London, seit 1663 das älteste noch bespielte
Theater der Stadt. Nach dem 2. Weltkrieg requirierte die Royal Army das
Schleswiger Stadttheater und taufte es in "Drury Lane Theatre Schleswig"
um. 34)
1870 Kritik gegen den Theaterdirektor Becker: "Wenn wir über
die anderen Personen, welche Schillers "Räuber" aufführen
halfen, kein Wort verlieren, so hat dies seinen guten Grund, daß
die 60, 65 und 70jährigen Räuber, die den Böhmerwald unsicher
machen wollen, unser volles Mitleid erregen ... Auf die theils gereimten,
theils ungereimten Pamphlete des Herrn Becker gegen die Schlesw. Nachrichten
gehen wir hier nicht weiter ein." 35)
1875 "Der Jongleur", Posse mit Gesang v. Pohl und Conradi, ein
"Cancan-Mann im Damenkostüm" 36) war zu dieser Zeit schon
eine Sensation, ebenso wie 1894 "Charleys Tante", Schwank von
Brandon Thomas, Travestiestück 37)
1916 "Weibsteufel", von Schönherr, Aufführung verboten,
Begründung: "Nach unserer Ansicht zeigt die ganze Handlung des
Stückes eine an Gemeinheit grenzende Sinnlichkeit, und bietet insgesamt
die Heldin des Stückes eine derart unnatürliche Entartung des
weiblichen Charakters, daß die Vorführung wenigstens in der
gegenwärtigen Zeit abstoßend zu wirken geeignet ist." 38)
1925 "Wer weint um Juckenack" von H. J. Rehfisch, Theaterskandal,
(tc1) Es soll im Theater wie in einer Parteiversammlung zugegangen sein:
Das Publikum stieß sich wohl an dem unglaubwürdigen Inhalt des
Stückes: Juckenack ist begütert, verschenkt all sein Geld an
eine Dirne und einen Scheckfälscher, die ihm es wieder vor die Füße
werfen, was diesen in den Wahnsinn treibt.
1926 "Der Fall Jung": Zu Beginn der Theatersaison feuerte Intendant
Ludwig den Schauspieler Walter Jung, weil er ihm das Götz-Zitat an
den Kopf geworfen hatte. Auf Druck der Öffentlichkeit mußte
er die Kündigung wieder rückgängig machen. 39)
1953 "Der gute Mensch von Sezuan" von Bertolt Brecht. Diese Aufführung
war Dr.Gnekows Beitrag zur Durchbrechung des westdeutschen Aufführungsboykotts
gegen Bertolt Brecht. (gs)
1954 "Robinson soll nicht sterben" von Friedrich Forster "Im
Dezember 1954 führte der Kreistag "Krähwinkel" auf
40). Er zitierte den Intendanten Dr.Gnekow vor die Schranken. Er hatte
es gewagt, dem Wunsch von Erziehern und Pastoren folgend, statt eines "grausamen"
Märchens Friedrich Forsters Jugendstück "Robinson soll nicht
sterben" aufzuführen. Er wurde vergattert, künftig wieder
"Weihnachtsmärchen" im Dezember aufzuführen."
(tc2)
1956 Während der Aufführung des Kriegsstücks "Die Unschuldigen"
von Saroyan verließen etliche Zuschauer türschlagend das Theater.
Sie stießen sich an den vielen Toten auf der Bühne. Heute wird
so etwas salopp "body-count" genannt. (gs)
9. Antisemitismus am Schleswiger Theater?
"Im deutschen Reich", einer Monatszeitschrift des Centralvereins
deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, fand Herr Bernd Philipsen
folgende Meldung über eine""Schleswiger Theater-Affaire",
die er dem Verfasser freundlicherweise zur Verfügung stellte. Veröffentlicht
wurde sie in der April-Ausgabe 1901:
"L.K. Hamburg. Die Schleswiger Theater-Affaire war uns bereits durch
eine Notiz der "Staatsbürger-Ztg." bekannt. Danach scheint
der Besuch des Stadttheaters durch das antisemitische Vorurtheil der biederen
Schleswiger sehr gelitten zu haben und der jüdische Bestandtheil der
Weiß´schen Truppe in eine sehr schlimmer Lage versetzt worden
zu sein. Das Antisemitenblatt schreibt: "Immer judenreiner wurde die
Truppe. Einige Juden blieben aber doch bis zum Schlusse; es ging wohl nicht
anders. Sehr komisch war es auch anzuhören, wie die einzelnen Juden
über die "abscheuligen Kollegen" schimpften. Ein junger
Jude namens Bermann, hatte Aussicht auf ein Engagement in Rußland.
Flugs begab er sich zu einem Geistlichen, um sich taufen zu lassen. Nach
einigen Unterredungen mit dem Juden begann der Vorbereitungsunterricht,
der jeden Tag stattfand, weil Bermann noch vor der Abreise hier getauft
zu werden wünschte. Daraus wurde nun aber nichts, und das kam so:
Die russischen Pläne scheiterten und Bermann blieb dem Unterricht
fern. Er bedurfte ja nun den Einlaßpaß in Gestalt eines Taufscheines
nicht mehr und hat es vorläufig aufgegeben, sich "schmadden"
zu lassen. Sollte einmal wieder ein Engagement in Rußland in Aussicht
stehen, so wird er wohl wieder einen Geistlichen finden, der den gewandten
Judenjüngling in die christliche Gemeinschaft aufzunehmen bereit ist."
- Das Judenthum wird den Verlust dann wohl verschmerzen und durch denselben
wahrscheinlich bei weitem nicht so geschädigt werden, als wenn sich
ein Rabbiner fände, der einen Mitarbeiter der "Staatsbürger-Ztg."
in die jüdische Glaubensgemeinschaft aufnehmen würde!"
Eine Durchsicht der "Schleswiger Nachrichten" zur Theatersaison
1900/1901 ergab folgende Einträge:
4.10.1900 Der Schauspieler Hugo Bermann, der jetzt bei Theaterdirektor
Weiss arbeitet, war vorher im Carl Schultze Theater in Hamburg.
28.11.1900 Theaterkritik zu dem Stück "Mamsell Nitouche ... Der
Soldat (Hugo Bermann) hatte die Lacher auf seiner Seite, ging aber mit
der Darstellung des Berauschten etc. bis hart an die Grenzen des Erträglichen;
in Paris verträgt man mehr, weiß es aber auch mit Chic auszuführen."
10.2.1901 Theaterkritik: "Hugo Bermann zeigte in der Wiedergabe des
Idioten Amandu große schauspielerische Geschicklichkeit."
29.3.1901 Theaterkritik zu dem Stück "Jugend von heute ... Die
Aufführung wird auch hier eine tadellose sein, und wir hoffen, daß
auch diese bei ausverkauftem Hause vor sich geht, umsomehr, als diejenigen
Mitglieder, welche bisher noch kein Benefiz hatten, sich diesen Abend zum
Ehrenabend erwählt haben. Es sind dies Fräulein Therese Dümpel,
ferner die Herren Hugo Bermann und ... Die Herren Bermann und Gräbenitz
haben uns des Oefteren gezeigt, daß man auch aus kleineren Rollen
etwas gestalten kann, und daß ihr Talent ihnen in jeder Weise Berechtigung
giebt, auf eine gute Zukunft in der dornenvollen Bühnenlaufbahn zu
hoffen. Wir haben Herrn Bermann als Amandus in "Jugend von heute"
gesehen, ... Wie bereits bemerkt, haben alle diese sich in jeder Weise
verdient gemachten Mitglieder am morgigen Abend ihr Benefiz und es wäre
sehr zu wünschen, wenn auch hier der Wahlspruch: "Gleiches Recht
für Alle" durch ein stark besetztes resp. ausverkauftes Haus
Ausdruck fände."
Der Verfasser interpretiert diese "Affaire" so: Der Konvertitenunterricht
war damals nicht ungewöhnlich. Die antisemitische "Staatsbürger=Ztg."
hatte wohl auch Leser in Schleswig, die sie mit Klatsch und Tratsch vom
Theater versorgte, was stark aufgebauscht wurde. Dies wiederum griff die
jüdische Zeitung "Im deutschen Reich" auf und schlachtete
es in ihrem Sinne aus. Die Schleswiger haben lt. SN jedenfalls gar nichts
davon gemerkt. Wir kennen dieses Problem auch heute von der yellow-press
mit ihren aus den Fingern gesogenen Affären Prominenter, wogegen die
sich zunehmend zur Wehr setzen. Nie fielen antisemitische Stücke in
Schleswig auf, nicht einmal im Dritten Reich. Ein vergleichbares Theaterstück
wie der Film "Jud Süß" im Jahre 1943 wurde hier nicht
aufgeführt, auch nicht die nationalsozialistische Akzentuierung des
Shylock im "Kaufmann von Venedig". Im Gegenteil, es fanden sich
sogar zwei ausgesprochen judenfreundliche Stücke:
1874 Einer von unsere Leut, Singspiel von Kalisch und Stolz
1881 Ein leeres Blatt, Schauspiel von Wulff 41)
10.1 Liste der Theaterdirektoren und Intendanten 1839-2004 (ep, tc1,
tc2)
Wie der folgenden Liste zu entnehmen ist, kann das Schleswiger Theater
auf sehr wechselhafte Führungen zurückblicken. Gastspiel-Ensembles
sind hier nicht aufgeführt.
1839 - ? Dir. Huber, 1. Stadttheater
1842 - 1846 Dir. Schäffer, Stadt-Theater zeitweise mit Graf Hahn-Neuhaus
1846 - Dir. Ludwig Wollrabe, Stadttheater Schleswig
1847 - Dir. E. Engelhardt, Graf Hahn-Neuhaus, Stadttheater Schleswig
1848 - 1849 Dir. E. Engelhardt, Stadttheater Schleswig
1850 - Dir. L. Schäffer, Stadttheater Schleswig
1852 - 1862 Dir. Albert Keßler, Theater Flensburg
1861 - 1866 Dir. L. Friedr. Witt, Kiel-Flensburger Theater
1865 - 1866 Dir. Th. Ruhle, Flensburger Stadttheater
1868 - 1869 Dir. Carl Becker, Schleswig-Flensburger Theater
1872 - 1879 Dir. M. Steinitz, Sommertheater Schleswig Schwerin-Mecklenburg
1873 - 1875 Dir. L. Schindler, Stadttheater Schleswig
1876 - 1879 Dir. F. Willers, Stadttheater Schleswig
1877 - Dir. C. Wegeler, Stadttheater Schleswig
1878 - Dir. Wilhelm Carl, Stadttheater Schleswig
1879 - Dir. Stanilaus von Glotz, Schleswig-Flensburger Theater
1880-1882 Dir. A. Hirschfeld, Schleswig-Flensburger Theater
1882 - Dir. Emil Balk, Schleswig-Flensburg, Haderslebener Theater
1884 - Dir. Th. Classens, Vereinigte Sommertheater Schleswig-ltzehoe
1885 - 1886 Dir. Gustav Weidt, Vereinigte Theater Schleswig-Eckernförde
1886 - 1889 Dir. Fritz Baars, Vereinigte Stadttheater Schleswig-Hadersleben
1888 - Dir. Ludwig Muff, Vereinigte Stadttheater Inh. W. Schütt Schleswig-Rendsburg
1889 - 1893 Dir. F. B. v. Bastineller, Vereinigte Stadttheater Schleswig-ltzehoe
1890 - Dir. W. Grosser, Vereinigte Stadttheater Inh. Feddersen Schleswig-
Rendsburg
1890 - 1892 Dir. Eduard Härting, Vereinigte Stadttheater Inh. Fr.
Laarsen Schleswig-Uelzen
1892 - Dir. W. Grosser, Vereinigte Stadttheater Inh. Feddersen, Schleswig-Rendsburg
1892 - 1895 Dir. Willy Peters Inh. Carl Nissen, Stadttheater Schleswig
1896 - Dir. C. R. Hahn-Decker Inh. Carl Nissen bis 1907 Stadttheater Schleswig
1897 - Dir. B. Decker, Stadttheater Schleswig
1898 - 1900 Dir. Carl Pötter, Stadttheater Schleswig
1900 - 1902 Dir. L. Friedr. Weiß, Stadttheater Schleswig
1903 - Dir. H. Schebarth, Stadttheater Schleswig
1904 - 1910 Dir. Hans Polte, Subv. Stadttheater Schleswig Inh. Bruno Schäffer
1907 Wismar-Rendsburg
1910 - 1911 Dir. Ida verw. Polte Inh. Flensburger Exportbrauerei, Stadttheater
Schleswig
1912 - 1924 Dir. Albert und Friedrich Herold, Nordmark-Verbandstheater
1924 - 1926 Intendant Bruno Bacher, Nordmark-Landestheater
1926 - 1927 Intendant Franz Ludwig, Nordmark-Landestheater
1927 - 1929 Intendant Zurek + Hussina (Verw.-Leiter) Nordmark-Landestheater
1929 - 1930 Spielleiter Hell + Hussina (Verw.-Leiter) Nordmark-Landestheater
1930 - 1932 Intendant Dr.Herm. Schaffner, Nordmark-Landestheater
1932 - 1933 Gastspiele der Vereinigten städt. Theater zu Kiel
1933 - 1934 Intendant Bruno Schönfeld, Norddeutsche Bühne
1934 - 1936 Intendant Bruno Schönfeld, Nordmark-Landestheater, Stadttheater
Schleswig
1936 - 1937 Intendant Paul Kolkwitz, Nordmark-Landestheater
1937 - 1939 Intendant Dr.Jost Dahmen, Nordmark-Landestheater
1939 - 1944 Intendant Rudolf Hartig, Nordmark-Landestheater
1939 - 1945 Stellvertretende Intendantin Gertrud Hoffmann
1945 - Dir. Carl-Heinz Goeke, Apollo-Theater im Gr.Baumhof 42)
1945 - 1946 Dir. Carl Nicolai Schleswig-Holsteinisches Operetten-Theater
im Gr.Baumhof
1946 - Drury-Lane Theatre Schleswig im Stadttheater
1946 - Dir. Carl Nicolai Schleswiger Bühnen
1946 - 1949 Dir. Carl Nicolai Renaissance-Theater
1949 - 1950 Geschäftsführer Rolf Ziegler
1949 - 1950 Leiter Wolf Hecht, Zimmertheater in der "Brücke"
1950 - 1960 Intendant Dr.H. Gnekow, Nordmark-Landestheater
1960 - 1963 Intendant Karl Vibach, Nordmark-Landestheater
1963 - 1968 Intendant Heinz Rippert, Nordmark-Landestheater
1968 - 1973 Intendant Toni Graschberger, Nordmark-Landestheater
1974 - Stellv. Intendant Friedrich Bremer
1974 - 2001 Generalintendant Dr. Horst Mesalla, Schleswig-Holsteinische
Landestheater und Sinfonieorchester GmbH
2001 - 2010 Generalintendant Michael Grosse, Schleswig-Holsteinische Landestheater
und Sinfonieorchester GmbH
2010 Generalintendant Peter Griesebach, Schleswig-Holsteinische Landestheater
und Sinfonieorchester GmbH
10.2 Die "Schleswig-Holsteinische Landestheater
und Sinfonieorchester GmbH" seit 1974
Theo Christiansen schrieb 1974: "Nach dem 2. Weltkrieg nahmen "die
Besucherzahlen im Lande zunächst stetig zu und erreichten 1961 den
höchsten Stand. Danach sanken sie ständig ab. ... Die Umsiedlung,
die Motorisierung, das sich immer mehr durchsetzende Fernsehen und die
zunehmende geistige Trägheit der Wohlstandsbürger sind einige
der Gründe der absinkenden Besucherzahlen." Es wurden deshalb
Verhandlungen eingeleitet, um den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen
Rechnung zu tragen, an denen auch der ehemalige Schleswiger Intendant Vibach
beteiligt war. Sie mündeten am 26.Juni 1973 in der Gründung der
"Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester GmbH".
Zu den Mitgliedern gehörten: Stadt Flensburg, Stadt Rendsburg, Stadt
Schleswig, Kreis Rendsburg/Eckernförde, Kreis Schleswig, Kreis Dithmarschen,
Kreis Nordfriesland, Kreis Steinburg, Kreis Flensburg, Stadt Heide, Stadt
Husum, Stadt Itzehoe, die Städte Meldorf und Bad Segeberg zusammen
1, die Städte und Gemeinden Friedrichstadt, Leck, Niebüll, St.Peter-Ording,
Westerland und Wyk auf Föhr zusammen. Die Kernmitglieder waren Flensburg,
Schleswig und Rendsburg. Weil Schleswig es - finanziell gesehen - am wenigsten
nötig hatte, diese Fusion einzugehen, bekam es auf Verlangen die Generalintendanz,
mit deren Leitung Dr. Horst Mesalla beauftragt wurde. 43, 44, gs)
11. Schleswiger Persönlichkeiten im Theaterleben 1840-1974
Die Theaterdirektoren und Intendanten aus der Zeit von 1840 bis 1962 sind
von Theo Christiansen mehr oder weniger hinreichend gewürdigt worden.
Einige Personen werden aber noch einmal beschrieben, weil durch den größeren
zeitlichen Abstand neue Facetten ihres Lebens sichtbar wurden.
11.1 Friedrich Neupert (Dramatiker, Schauspieler und Zahnarzt)
Nachruf in den SN vom 19.3.1881
"In dem vorgestern morgens 6 Uhr verstorbenen Zahnarzt Friedrich Neupert
ist eine der bekanntesten und originellsten Persönlichkeiten unserer
Stadt ins Jenseits hinübergegangen. Der Hingeschiedene war in der
Stadt Schleswig geboren am 24. Mai 1800 als der älteste Sohn des damaligen
Hofjuweliers Neupert. Er widmete sich in technischem Sinne dem Kunstgewerbe
seines Vaters, zeigte aber daneben - kaum zum Jüngling herangewachsen
- entschieden Talent und Vorliebe für Theater, Dichtkunst und Musik.
Kurz er war eine künstlerisch veranlagte Natur. Kaum 18 Jahre alt
spielte er hier schon auf einem Liebhaber-Theater, vorwiegend komische
Rollen. Vor ungefähr 40 Jahren wandte er sich der Zahnheilkunde und
der Zahntechnik zu, ein Geschäft, das er bis an sein Lebensende mit
Erfolg betrieben hat. - Friedrich Neupert ist als Dichter und Schriftsteller
aufgetreten während einer langen Periode seines Lebens, zahlreiche
Gelegenheitsgedichte, Theaterkritiken, Beiträge im Itzehoer Wochenblatt
(jetzt Nachrichten), erinnern hieran. Er hat auch einige kleine Lustspiele,
bzw. Possen geschrieben, u.a..""Die beiden Fouriere", eine
Lokalposse, welche um das Jahr 1840 auf dem hiesigen Stadttheater zur Aufführung
kam. Selbige war mit einem etwas grobkörnigen Witz stark gesalzen
und gepfeffert, und da sie ihre Spitze gegen die dänischen Offiziere
kehrte, so konnte es nicht fehlen, daß diese Herren Wuth schnaubten
zum großen Gaudiums des Publikums. - Neupert war auch Musiker in
dem Sinne, daß er Klarinette und Flöte blies, und vor 20 Jahren
einen kleinen Gesangverein dirigirte. ... Fr.Neupert war bis zum letzten
Augenblick geistig frisch, doch in letzterer Zeit körperlich gebrochen
- er starb nach 14tägiger Krankheit fast 81 Jahre alt."
11.2 Adalbert Graf von Baudissin (Dramatiker)
wurde am 25.1.1820 in Hovedgaard / Jütland geboren. Er besuchte die
Schleswiger Domschule, ist nach dem Abitur weggezogen und kehrte 1865 nach
Schleswig zurück. Zwei Theaterstücke tragen seine Handschrift:
1867 Die gefundene Handschrift oder Ich heiße Schultz
1867 Annektiren In Wiesbaden beendete er 1871 sein Leben. 45)
11.3 Wolf Graf von Baudissin (Dramatiker)
Sohn des Adalbert Graf von Baudissin, wurde am 30. Januar 1867 in Schleswig
geboren, besuchte die Domschule und diente von 1896 bis 1900 als Offizier
im Inf. Rgt. v.Manstein (Schleswigsches) Nr. 84.
Er war ein produktiver Schriftsteller mit meist humoristischen Novellen
und Romanen aus dem Militärleben. Er schrieb einige recht kritische
Romane über die Schattenseiten des preußischen Militärlebens,
besonders des Offizierslebens, die innerhalb des preußischen Heeres
verpönt waren, aber oft gelesen wurden. Wolf Graf von Baudissin firmierte
auch unter den Pseudonymen: "Freiherr von Schlicht" und "Graf
Günther Rosenhagen".
Zwei seiner Theaterstücke wurden auch in Schleswig aufgeführt:
1902 Im bunten Rock, von Schlicht und Schönthan, (Uraufführung)
1903 Liebesmanöver, von Schlicht und Curt Kraatz
Am 4. Oktober 1926 suchte er in Weimar den Freitod. 46)
11.4 Weitere Baudissins (Rosa, Asta und Ulrich)
- Rosa Gräfin von Baudissin war eine Tochter von Adalbert Graf von
Baudissin. Am 2. Februar 1931 veröffentlichte sie in den SN einen
Aufsatz über das Schleswiger Theater.
- Asta Heiberg, geb. von Baudissin, eine Schwester von Rosa, widmete 1897
in ihrem Buch "Erinnerungen aus meinem Leben" dem Schleswiger
Theater ein ganzes Kapitel.
- Ulrich Graf von Baudissin, ein weiterer Bruder von Rosa, schrieb das
Theaterstück: "Die Quadrone", das 1862 hier aufgeführt
wurde. 47)
11.5 W.Wilibald Wulff (Dramatiker)
Nachruf in den SN v. 31.3.1893:
"Schleswig, 30. März. Heute ist der alte, treue Vorkämpfer
des Thierschutzes in Schleswig-Holstein, der Begründer des Schleswiger
Thierschutzvereins und des Schleswig- Holsteinischen Thierschutzverbandes
und dessen langjähriger unermüdlicher Leiter W.Wilibald Wulff
im 86. Lebensjahre verstorben. W. Wilibald Wulff hat hier in unserer Stadt
viele Jahre des Ruhestandes verlebt, den er nach längerer und verdienter
Beamtenthätigkeit im Hamburger Polizeidienst hier genoß, seine
Zeit und Muße neben den Thierschutzbestrebungen auch der Dichtkunst
widmend, in deren Dienste er neben vielen lyrischen Gedichten auch einzelne
Dramen, die am hiesigen Stadttheater aufgeführt wurden, produzierte.
Bis in hohe Jahre hinauf körperlich rüstig und geistig frisch,
litt er in letzter Zeit sehr unter der Schwäche des Alters, an Haus
und zum Theil auch ans Bett gefesselt. Sanft ruhe seine Asche!" 48)
Wulff schrieb acht Theaterstücke, die alle aufgeführt wurden:
1870 Durch Nacht zum Licht
1877 Der Zauber der Humanität
1877 Lamm und Löwe
1880 Die Geisterbannerin
1880 Gräfin Lea
1881 Ein leeres Blatt
1881 Die letzten Ditmarsen
1888 Farinelli, von Willibald Wulff und Charles Caßmann 49)
11.6 Emil Terno (Dramatiker)
wurde am 24.12.1852 in Breslau geboren. Seit 1878 arbeitete er als Zeichen-
und Schreiblehrer an der Domschule. Terno zeichnete sich durch eine große
Vielseitigkeit aus: Organist, Gedichte, Maler, Mitglied im Vorstand des
Schleswiger Altertumvereins, Direktor des Altertummuseums und Leiter der
Hoeschen Bibliothek. Er schrieb nicht nur Theaterkritiken, sondern auch
Theaterstücke, die hier aufgeführt wurden:
1893 Der Königsschuß (Ternos Ehefrau spielte hier mit)
1897 Der erlöste Peri
1911 Die Nixe
1911 Manstein allzeit voran
1914 Der Morgen tagt
Am 13. Februar 1912 gastierte der berühmte Theaterdirektor Max Reinhardt
aus Berlin in Schleswig mit dem Drama "König Oedipus" von
Sophokles, was den Bemühungen von Emil Terno zu verdanken war. Vom
4.1.1923 bis 5.3.1923 war er Hauptschriftleiter der SN. Emil Terno starb
am 3. November 1939. 50)
11.7 Bruno Gerhard (Schauspieler)
wurde 1893 in Itzehoe geboren. In Schleswig ging er zur Schule und begann
seine Ausbildung als Schauspieler bei Intendant Herold (1918). Nach dem
Kriegsdienst kehrte er erst 1948 wieder nach Schleswig zurück, um
hier bis 1959 zu arbeiten. Er spielte 600 Rollen und führte 80mal
Regie. Seine Lieblingsrolle war der Geheimrat Schlüter in Kästners
"Das lebenslängliche Kind". Von 1950 bis 1961 hatte er die
künstlerische Leitung der Niederdeutschen Bühne Schleswig inne.
Sein persönliches Markenzeichen war die Tabakspfeife. Er starb im
Jahre 1969. 51)
11.8 Franz Grell (Dramatiker)
wurde am 17.3.1882 in Schleswig geboren und erlernte den Drogistenberuf.
In seiner Freizeit widmete er sich auch dem "Biochemischen Verein",
dem Segeln (SSC) und der Politik (CDU).
Sein große Liebe war das Theater. Zusammen mit seinem Bruder Ferdinand,
der 1931 freiwillig aus dem Leben schied, und dem Redakteur der Volkszeitung
Hans Flatterich gründete er 1923 den Theaterbesuchsverband "Volksbühne".
Nach dem 2. Weltkrieg wurde er Vorsitzender der Niederdeutschen Bühne
und schrieb plattdeutsche Komödien:
1954 Luder Masken
1958 Wat dat Öl nich deit.
Am 29. April 1959 wurde er mit großen Ehrungen zu Grabe getragen.
52)
11.9 Hans Flatterich (Redakteur)
wurde 1882 in Winnert Krs. Husum geboren. Er erlernte den Beruf des Schriftsetzers.
Anfang der 20er Jahre wurde er Schriftleiter der sozialdemokratischen Zeitung
"Schleswiger Volkszeitung" bis 1931. 1923 gründete er mit
den Gebrüdern Grell den Besuchsverband "Volksbühne",
deren Vorsitz er bis 1926 bekleidete. Er wurde Mitglied der Schleswiger
Stadtvertretung und des Magistrats. Nach dem Attentat auf Hitler internierte
man ihn im Konzentrationslager Neuengamme. Als der Krieg zu Ende war, trat
er in den SSW ein und arbeitete als Journalist für den Flensborg Avis.
Er starb 1964. 53)
11.10 Bruno Bacher (Intendant)
Über den Intendanten Bruno Bacher berichtete Theo Christiansen u.a.:
"Der Spielplan war der Grund dieser Verhärtung. Bruno Bacher
hatte den "Konservativen" - auf Anregung der Volksbühne
- harte Kost dargeboten ... Das mißfiel dem Bühnenvolksbund.
Er stellte in einer Versammlung wenige Tage nach der Veröffentlichung
der Aufstellung fest, daß ihm der Spielplan mit Wedekind, Klabund,
Brecht 54) , Bronnen usw. ".. deren Ehebruchsdramen, Dirnen und Bordellatmosphäre
. . . " mißfalle. Hans Röper und Oberregierungsrat Dr.Livonius
waren die Hauptsprecher. Bacher ging nach 2 Jahren auf "eigenen Wunsch"
zum 30.6.1926 nach Südamerika. Es scheint nicht sicher zu sein, daß
sein Fortgang ganz friedlich war. Er war ein Vollbluttheatermann mit der
Kehrseite eines Lebenswandels, der zwar die Schleswiger außerordentlich
interessierte, ihnen aber die befriedigende Möglichkeit der moralischen
Entrüstung gab. Viel Klatsch mag aber auch mit seiner Gestalt verbunden
gewesen sein." (tc1)
Bruno Bacher war ein sehr anhänglicher Intendant. 1931 veröffentlichte
er in den SN einen großen Bericht über das Theater in Buenos
Aires. Sein Resümee gipfelte in folgendem Satz: "Mit Stolz und
Genugtuung behaupte ich, daß das "Nordmark-Landestheater"
Spielhaus Schleswig, trotz seines bescheidenen Rahmens und seiner geringen
Größenverhältnisse in moderner Bühneneinrichtung,
Beleuchtung, künstlerischer Arbeit und Inszenierung sämtliche
hiesigen Theater, Teatro Colon an der Spitze weit überragt. Schleswig
kann auf sein Theater stolz sein." 55)
11.11 Christian Tränckner (Dramatiker)
wurde am 7.3.1872 in Schleswig geboren und übte den Lehrerberuf aus.
Er war anspruchslos, fiel durch seinen Alltagsrock, Butterbrot und Fahrrad
auf. Rietzler stellte lapidar fest, dass "Tränckners Auffassungen
von Kunst und Literatur mit den nationalsozialistischen Vorstellungen auf
diesem Gebiet nahezu kongruent waren." Tränckner war literarisch
sehr aktiv und schrieb auch zwei Theaterstücke, die hier aufgeführt
wurden:
1926 Faust
1927 Der tolle Frederik Ende
1927 verließ er seine Heimatstadt, um nach Leipzig zu ziehen. Seine
Spur konnte bis 1942 verfolgt werden, weil dann noch eine Ausgabe seiner
"Die alte Truhe" erschien. 56)
11.12 Paul Leuchsenring (Dramatiker)
wurde am 6.12.1892 in Mohrungen geboren. Er war verheiratet und arbeitete
als Taubstummenlehrer in Schleswig. Theo Christiansen widmete ihm ein ganzes
Kapitel. Neben einigen Hörspielen produzierte er auch 4 Theaterstücke:
1928 Die verzauberte Torte
1930 Kämpfer ohne Schwert
1931 Haithabu
1935 Die Regatta Leuchsenring starb am 6. März 1971 in Schleswig,
wobei ihm weder eine Todesanzeige noch ein Nachruf folgte. 57)
11.13 Johannes Thomsen (Dramatiker)
wurde am 30. Juli 1891 in Torsballig als Sohn eines Bauern geboren. über
ein Jahrzehnt wirkte als Mitglied des Redaktionsausschusses der "Beiträge
zur Schleswiger Stadtgeschichte". Aus seinem Werkverzeichnis lassen
sich zwei Schwerpunkte ablesen: Die Heimat- und Landeskunde und das Männerchorwesen,
in dem Thomsen eine geschichtsbildende Kraft sah. Darüber hinaus bildet
sein jahrzehntelanges Wirken als Kirchenältester der Schleswiger Domgemeinde
und als Synodaler der Propstei Schleswig einen ehrenamtlichen Arbeitsbereich,
der Johannes Thomsen eine Herzensangelegenheit war. In einer Reihe von
60 Artikeln behandelte Thomsen ab 1940 in den "Schleswiger Nachrichten"
"Alt-Schleswig in Wort und Bild". 1930 wurde sein Heimatfestspiel
"Der deutsche Funke" aufgeführt. 58)
11.14 Dr.Hermann Schaffner (Intendant)
war ein rühriger Mann, der nach seiner Schleswiger Zeit Intendant
in Erfurt und Generalintendant in Dortmund wurde. In einem Brief aus dem
Jahre 1950 erinnert er sich an seine Schleswiger Zeit:
"Lieber Kollege G n e k o w !
... Noch heute bewundere ich den Mut, den Bürgermeister Dr.Behrens
und die Mitglieder des Zweckverbandsausschusses mit diesem Experiment bewiesen.
Mir haben sie damit die zwei glücklichsten Jahre meines Theaterlebens
beschert. Sicherlich - ich habe später künstlerisch großzügiger
arbeiten können - ich hatte in Chemnitz im Opernhaus Gagen bis zu
24000. RM zur Verfügung - ich konnte 3 Tenöre mit je 18000. RM
Gage plus Spielhonoraren verpflichten - die Ausstattung der "Meistersinger"
durfte 20000. RM kosten und in Schleswig standen für eine ganze Spielzeit
keine 5000. RM zur Verfügung - ich kann heute eine Inszenierung in
3 bis 4 Wochen ausreifen lassen, während wir in Schleswig in jeder
Woche eine Neueinstudierung brauchten - aber so persönlich verbunden
fühlte ich mich keinem Theater, keiner Stadt wie Schleswig.
Wenn ich daran denke, was wir mit unseren geringen Mitteln wagten, wenn
ich an Hamsuns "Spiel des Lebens", an Strindbergs "Königin
Christine" denke, dann überrieselt mich ein Schauer über
diesen unbekümmerten Leichtsinn, und ich bewundere umsomehr diesen
aufgeschlossenen theaterfreudigen Besucherstamm, der damals treu zu seiner
kleinen Bühne hielt, während in den Großstädten die
Theater vor leeren Häusern spielten.
Wenn ich an unsere Dekorationen denke, die paar zu Spitzbogen zusammengenagelten
Latten, in denen "Was ihr wollt" spielte, an die immer wieder
abgewaschenen und neu übermalten Zimmerwände, wobei wir noch
überlegen mußten, wie viel Pfennige das kg Farbe kostete und
wobei die Erdfarben den Vorzug hatten, weil sie billiger waren, wenn ich
an Silvester und den Neujahrstag 1931 denke, wo meine Frau und der junge
Kapellmeister Koerver mit mir den ganzen Tag in der Wohnung aus Kreppapier
Tulpen für Eichendorffs "Freier" banden, dann weiß
ich zwar, wie ich sparen lernte, ich weiß aber auch, was Theaterliebe
in einer kleinen Stadt bedeutet - und dann freue ich mich ganz besonders,
daß Schleswig jetzt wieder sein eigenes Schauspiel hat - dieses Publikum
verdient sein Theater.
Und das kleine, vielfach vielleicht zu junge Ensemble damals wußte,
was es diesem Publikum schuldete. Da gab es keine Rücksicht auf Probendauer,
da war die Norm des Probenschlusses, wenn wir nicht früh auf Abstecher
fuhren, zwischen 15 und 16 Uhr; da kam es dann aber auch vor, daß
ein humorvolles Mitglied des Ensembles meine Armbanduhr, die auf dem Regietisch
lag, alle halbe Stunde während einer intensiven Besprechung immer
wieder 10 Minuten vorstellte und die Probe dann doch schon um 14.30 Uhr
aus war.
Glauben Sie nun aber nicht, daß wir im Gegensatz zu Ihren Schwierigkeiten
nur verhätschelt wurden. Jener mutige Zweckverbandsausschuß
hatte nach meiner Wahl ganz einfach die Stelle des Bühnenbildners
gestrichen - und ich konnte sehen wie ich fertig wurde. (Meine Frau ist
zagenden Herzens und manchesmal mit Tränen in die Bresche gesprungen).
Da wurden nach dem Bankenkrach 1931 die Zuschüsse von Land und Provinz
nicht unerheblich gekürzt und der Kreis strich kurzerhand seinen Zuschuß
ganz. Da hieß es erneut sparen und damals kannte ich die Preise der
verschiedenen Qualitäten Malleinen, Sperrholz, Pappe, Latten der verschiedensten
Dicke, auswendig.
Als ich an einem frühen Januartag mich in Schleswig vorstellte, da
ahnte ich noch nicht, wie sehr ich auch bald im Lande Wurzel schlagen würde.
So verschlossen, wie sie sich selbst halten, waren die Schleswiger nicht
- bald waren wir herzlich aufgenommen, bald war ein Freund für's Leben
gewonnen, Erwin Zillinger, der idyllisch im Johanniskloster hauste. Das
hat keine der großen Städte später beschert.
Und dann lernte ich das Land kennen und lieben. Ich hatte eine triste Einöde
erwartet (so stellt sich der Rheinländer Schleswig-Holstein vor),
- bald kannte ich Weg und Steg im Tiergarten und Pöhler Gehege - wie
oft bin ich um's Haddebyer und Selker Noor gewandert, nach Louisenlund
gefahren oder bis nach Schleimünde - wie sehr haben wir vor allem
in der Industriestadt Chemnitz unserer Wohnung am Thiessensweg und dem
weiten Blick auf Schloß Gottorp nachgetrauert." 59)
11.15 Bruno Schönfeld (Intendant)
Kirsten Petersen kommentierte Schoenfelds Zeit so: "... war die schon
erwähnte Aufführung des Werkes von Gauleiter Kube "Totila"
nicht die einzige Konzession an den Zeitgeist". Warum Schoenfeld diese
"Konzession" machte - in der Tat weisen seine Spielpläne
im Vergleich zu Kiel und Flensburg einen recht hohen Anteil von NS-Dramen
auf - und ob dies überhaupt aus freien Stücken geschah, muß
in Ermangelung von Material, das über seine persönliche Einstellung
Aufschluß geben könnte, leider im Unklaren bleiben." Frau
Petersen muß ein Irrtum unterlaufen sein, denn sie wird durch ihre
eigenen Zahlen widerlegt.
Anteile der NS-Dramen in:
Kiel 18%
Flensburg 16%
Lübeck 13%
Schleswig 13%
Schönfeld 15%.
Auch Bruno Schoenfeld schrieb 1950 seine Erinnerungen an Schleswig in einem
Brief nieder: Vorab-Erklärung: Die "Stumpfe Ecke" war neben
dem "Kaputten Sofa" (= Domkrug) die Stammkneipe der Schleswiger
Theaterleute. (gs)
"Lieber Kollege Gnekow
... Welche Freude war das für mich, kürzlich auf der Wiesbadener
Intendantentagung S i e, den ich vor Jahren einmal in Berlin als theaterbeflissenen
Musenjünger kennengelernt hatte, als meinen Nachfolger in der Intendanz
des Nordmark-Landestheaters wiederzufinden! Rasch knüpften sich die
Fäden des Gesprächs und die wesentlicheren der herzlichen Beziehung;
bald gesellte sich auch mein Vorgänger Doktor Schaffner als der Dritte
im Bunde zu uns, und nach dem offiziellen Teil des Empfangs der Stadt setzten
wir drei uns in einer Ecke des Ratskellers zusammen, und da packten wir
nun aus mit unseren Schleswiger Erinnerungen - o hau, o hau, o ha! In dieser
Ecke ging es nicht spitz her und nicht scharf, es war im Gegenteil gewissermaßen
eine s t u m p f e E c k e und mit diesem doppelsinnigen Stichwort sind
wir mit beiden Beinen auf dem alten lieben Lollfuß gelandet. Es bewahrheitet
sich, was mir damals am Tage meiner Ankunft der neue Bekanntenkreis - aus
dem Munde Franz Götkes, der bald zum Freunde wurde und heute der Urfreund
ist und bleibt - im Deutschen Keller sagte: nach Schleswig, in diesen nordischen
Winkel, kommen die Theaterleute alle mit Vorbehalten und großen Bedenken,
aber sie sind dann alle gern hier und fühlen sich wohl, sie gehen
schwer von hier fort und tragen Erinnerung und Sehnsucht im Herzen. Was
macht nun den einzigartigen Charakter der Stadt Schleswig, des Landes Schleswig-Holstein
aus? Ich glaube dies: daß sie, daß es Charakter h a t. Unverwechselbaren!
Schloß Gottorp hier, der herrliche Dom dort! Oben auf der Höhe
das Denkmal "Up ewig ungedeelt", unten die vorzeitumwitterte
Stätte von Haithabu; und wie über dem Holm, dem alten Fischerdorf,
die Stadt zwanglos fast naturgegeben in die Landschaft; übergeht:
Die Schlei, die große Breite, Missunde und weiter bis nach Schleimünde
am östlichen Meer." 60)
Jonny Reincke, der Wirt der "Stumpfen Ecke", des Stammlokals der Schleswiger Theaterleute
11.16 - 11.17 Irene Klein (Orna Porat) (Schauspielerin)
wurde 1924 in Porz bei Köln geboren, wo sie eine Schauspielschule
besuchte. Die Schleswiger Intendantin Gertrud Hoffmann engagierte sie dort
1942 vom Fleck weg, ohne ihre Abschlußprüfung abzuwarten. Sie
wohnte dann im Hause Dr.Moosmanns in der Neuwerkstraße 7, das als
"Idiotenhaus" bezeichnet wurde, weil hier ein Treffpunkt extravaganter
Menschen war. Nach der Schließung des Theaters im Herbst 1944 erwartete
sie mit ihren Freunden sehnlichst die Kapitulation des Deutschen Reiches.
Durch antifaschistische und kommunistische Freunde beeinflußt, stellte
sie bei der englischen Besatzungsmacht den Antrag, in die Sowjetunion auswandern
zu dürfen. Dies kam dem Geheimdienst der britischen Armee "275.
Field Security Sections (FSS)" doch sehr spanisch vor. Wie der Zufall
es wollte, war sein Quartier just links neben dem Haus von Dr.Moosmann.
Frl. Klein wurde vorgeladen, um ihr Anliegen mündlich vorzutragen
und zu begründen. Der verhörende Offizier war ein ehemaliger
deutscher Jude aus Köln - Josef Porat. Sie verliebten sich und als
er nach Israel zog, konvertierte sie, heiratete und folgte ihm. In Israel
machte sie eine steile Karriere als Schauspielerin und gründete das
Nationale Kinder- und Jugendtheater. Hohe Ehrungen folgten wie die Ehrendoktorwürde
der Universität Tel-Aviv und der höchste Orden, der "Israel-Preis".
Am Grab von Premierministerin Golda Meir hielt sie die Trauerrede. 1981
stattete Orna Porat dem Schleswiger Theater einen Besuch ab, worüber
der WDR einen Film drehte. 61)
11.25 Schauspieler in Schleswig mit einem "Namen"
Zu diesen zählen natürlich auch die Lokalgrößen.
Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, von jedem Schauspieler
einen Lebenslauf zu präsentieren, auch wenn sie noch so berühmt
waren. Denn es konnten 3425 Schauspieler und sonstige Personen gezählt
werden, die irgendwie in Beziehung zum Schleswiger Theater standen. Vor
1840 fanden sich 633. Die Jahreszahlen zeigen ihr Auftreten in Schleswig
an. Die Schauspieler, die bereits im "Gnekow-Aufsatz" aufgeführt
wurden, sind hier nicht dabei.
1869 - 1877 Bethge-Truhn, Selma
1875 Seebach-Niemann, Marie, Thalia-Theater Hamburg
1876 Rossi, Anna, Thalia Hamburg
1892 1893 Kainz, Josef
1894 Ellmenreich, Franziska, Straße und Café in HH
1895 Petri, Lilli ,Gast aus Berlin
1897 Segisser, Agathe, Leserbrief verlangt Frau Segisser
1898 Matkowski, Adalbert Berlin
1903 - 1937 Wangel, Hedwig
1909 - 1910 Schenk, Richard, Opernsänger aus Lübeck
1912 Reinhardt, Max, Intendant, Berlin
1912 Reinboth, Alfred ausBerlin
1912 Klein, Josef aus Berlin
1912 Hruby, Elisabeth von Wiener Hofburg
1925, 1960 Towska, Lilly
1918 - 1964 Gerhard, Bruno, "alter" Schleswiger Schauspieler
1933 - 1934 Wegener, Paul
1933 Rieth, Rudolf, Hörspiele
1933 - 1937 Nötzoldt ,Hello, Bühnenbildner
1934, 1937 Gebühr, Otto
1934 Körner, Hermine
1940 - 1961 Hoffmann, Gertrud, "alte" Schleswiger Schauspielerin
und stellv. Intendantin im Krieg
1942 - 1944 Klein Irene, berühmt als Orna Porat in Israel
1945 - 1947 Ott, Ruth-Esther Frau von Nicolai, auch in den 50er Jahren
1946 - 1948 Schöppe, Gerhard, Opern-Sänger auf Einzel-Tournee
1968-1993 Chorleiter vom Schleswiger Männerchor von 1839
1946 - 1969 Hild, Oswald, "alter" Schleswiger Schauspieler
1947 - 1948, 1960, 1961 Reincke, Heinz
1949 - 1963 Sagell, Ellen, "alte" Schleswiger Schauspielerin,
Nichte v. Emmy Göring
1959 - 1960 Cramm von, Bruno, Sohn vom berühmten Tennisspieler
12. Theaterkritiker in den "Schleswiger Nachrichten" (th)
Nicht immer haben die Theaterkritiker mit ihrem Namen unterschrieben, oft
gab es nur ein Kürzel. Die vielen Feuilletonisten anderer Zeitungen
gehören nicht in diese Arbeit. Aber einer von ihnen muß unbedingt
hervorgehoben werden, weil der Intendant Dr.Gnekow immer besonderen Wert
auf seine Abhandlungen legte, nämlich Alexander Kus von der Volkszeitung
in Kiel. (gs) Er schrieb von 1947 bis 1965 und sein Kürzel war "A.K".
Otto Pautz wohnte zwar in Schleswig, aber arbeitete nach dem Kriege nicht
mehr für die SN.
1862 1863 d
1866 - Ein Kunstfreund
1866 - idem
1867 - H.
1867 - -e-
1875 -1876 Wulff Wilibald
1893 -1903 Heiberg Hermann
1902 - Terno Emil
1910 A.L.
1920 J.M.
1923 -1954 Michel, Dr. Fritz Kürzel: Dr. -el.
1924 - Schober, Dr. C.
1924 1925 Röper Hans Kürzel: hr.
1925 - Vonka L.
1925 - T.B.
1926 - ga.
1926 - O.
1926 -1930 Hellwig H. Kürzel: H-g
1927 -1930 L.B.
1928 - Strecker Karl
1931 -1950 Götke Franz
1933 - Schumann
1934 - Nietzsche
1936 - Gaethgens Hildegard
1936 -1973 Pautz Otto Kürzel: -u-
1937 - Djuren Siebelt
1937 - Lindschau Nis Heinrich
1938 - Biehne Horst
1939 - Wentorff Kurt
1940 1941 Hagemann Carl Walter
1940 -1950 Thomsen Johannes
1949 - K.W.
1950 Dr.R.
1951 - "r"
1953 ZL 1955
1960 OWL
1955 - Asmus
1956 1957 F.A.
1956 1957 ll.
1958-1960 Hambach, Dr. Wilhelm
1960 -1973 Hebbeln Volker Kürzel: V.H.
1961 - D.C.
1963 1974 L.
1964 - gr.
1965 -1972 Hagemann Inge Kürzel: ih
1973 - GK
15. Resümee aus 135 Jahren Schleswiger Theatergeschichte
Von allen Schauspielern, die in Schleswig debutierten, leuchtet kein Stern
so hell wie der von Irene Klein (1942-1944 in Schleswig), die in Israel
unter dem Namen Orna Porat Karriere machte.
16. Bildernachweis
Überblick von 1618 bis 1837 - Verfasser
Erstaufführungen und Wiederholungen - Verfasser
Theaterzettel - Verfasser
Gastspielbühnen - Verfasser
Niederdeutsche Aufführungen - Verfasser
Jonny Reincke + Frau hinterm Tresen - Dank an Herrn Gerd Skowronek
Irene Klein - Dank an Herrn Erich Koch und Herrn Rudolf Schultz, beide
in Schleswig
17. Anmerkungen
ep Eike Pies: Das Theater in Schleswig 1618-1839
GemA Sl-Fl Gemeinschaftsarchiv der Stadt Schleswig und des Kreises Schleswig-Flensburg
gs Mündliche Mitteilungen von Herrn Gerd Skowronek 24.8.2003 bis 14.12.2003
Ibl Intelligenzblatt Schleswig
SN Schleswiger Nachrichten
tc1 Theo Christiansen: Schleswig 1836-1945
tc2 Theo Christiansen: Schleswig und die Schleswiger 1945-1962
th Akten des Schleswiger Theaters im Gemeinschaftsarchiv